Bilanz des Kfz-Gewerbes Baden-Württemberg 2023 wird ein „Ritt auf der Rasierklinge“

Von Doris Pfaff Lesedauer: 4 min

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Eine Rendite von 3,3 Prozent im zurückliegenden Jahr, aber trübe Aussichten für 2023 – der Kfz-Landesverband Baden-Württemberg sieht erhebliche Probleme auf die Branche zukommen. Neben einer kritischen Auftragslage steht die Rolle der Hersteller im Fokus.

Michael Ziegler, Präsident des Kfz-Gewerbes Baden-Württemberg, sieht die individuelle Mobilität in Gefahr. Politische Entwicklungen und Preissteigerungen sorgten dafür, dass ein eigenes Auto nicht für jeden finanzierbar sein wird.
Michael Ziegler, Präsident des Kfz-Gewerbes Baden-Württemberg, sieht die individuelle Mobilität in Gefahr. Politische Entwicklungen und Preissteigerungen sorgten dafür, dass ein eigenes Auto nicht für jeden finanzierbar sein wird.
(Bild: Kfz-Gewerbe Baden-Württemberg)

Als „Ritt auf der Rasierklinge“ hat Michael Ziegler die derzeitigen Aussichten der Kfz-Branche beschrieben. Der Präsident des Kfz-Landesverbands Baden-Württemberg verdeutlichte während der Vorstellung der Jahresbilanz 2022, was auf die Branche kurz- und mittelfristig zukommt. „Der ‚Drahtseilakt‘ ist als Bild viel zu schwach angesichts des Wandels, den wir im Bereich des Fahrzeughandels und -service erfolgreich bewältigen müssen“, betonte er.

Dazu trage auch die wirtschaftliche Lage der Kfz-Betriebe bei, obwohl das Jahr 2022 wirtschaftlich insgesamt positiv verlief: „Wir haben im Gesamtumsatz von Neu- und Gebrauchtwagen ein Plus gemacht“, sagte Verbandspressesprecherin Birgit Leicht. Das bringe aber mit Blick auf die Herausforderungen keine Entspannung. Denn seit mehr als einem halben Jahr sinke der Auftragseingang drastisch.

Für die Kunden stehe die bezahlbare individuelle Mobilität auf dem Spiel, so Ziegler. Die Situation im Handel sei schwierig. Einerseits seien da die etablierten Hersteller, die über Agentursysteme nach höheren Renditen zu Lasten der Autohäuser und Kunden strebten. Anderseits werde die Konkurrenz durch chinesische Hersteller immer größer.

Kritik an Bildungspolitik des Landes

Kritik übt der Verband an der Landesregierung: „Mit der Kürzung der Mittel für die Berufsschulen und die Bildungsstätten des Handwerkes setzt die Landesregierung im aktuellen Haushalt ein vollkommen falsches Signal.“ Die Kfz-Betriebe und deren Auszubildende und Beschäftigte bräuchten aufgrund der Transformation bessere Bildungsangebote, nicht eine Verschlechterung, sagte Leicht.

Insgesamt belegt die Jahresbilanz, dass „das Auto die unangefochtene Nummer 1 ist, wenn es gilt, die Mobilitätswünsche der Menschen umzusetzen“, erklärte Ziegler: „Selbst die vom Umweltbundesamt veröffentlichten Daten rütteln nicht daran und das will bei der Ausrichtung dieser Behörde etwas heißen. Der motorisierte Individualverkehr sichert mit 73,6 Prozent fast drei Viertel der individuellen Mobilität.“ Doch längst nicht mehr sei das Auto für alle bezahlbar.

2022 war der Markt in Baden-Württemberg von steigenden Preisen gekennzeichnet, fasste Leicht zusammen. So wurden zwar fast 134.000 Neu- und Gebrauchtwagen weniger verkauft, aber höhere Preise sorgten dafür, dass der Gesamtumsatz im Mobilitätsmarkt im Land um fast 2,8 Milliarden Euro (8,5 Prozent) auf 35,4 Milliarden Euro gewachsen sei. Der Anteil des Kfz-Gewerbes stieg dabei allerdings unterproportional um 936,7 Millionen Euro oder 3,8 Prozent und betrage jetzt gut 25,4 Milliarden Euro oder 71,8 Prozent am Gesamtumsatz.

Hersteller werden zu Konkurrenten

Das Gewerbe teile sich den Markt mit zwei anderen Akteuren, dem Privatmarkt bei den Gebrauchten und den Autoherstellern beim Neuwagenverkauf. Das Agieren der Hersteller sieht Verbandspräsident Ziegler dabei besonders kritisch: „Durch die Online-Affinität der Kunden versuchen die Hersteller immer stärker, Wertschöpfung aus dem Handel abzuziehen.“

Rund 142.000 Neuwagen oder knapp 39 Prozent der 2022 im Land ausgelieferten Pkw seien direkt über die Vertriebskanäle der Hersteller gelaufen. „Mit Agentursystemen greifen die Hersteller die Wurzeln des Autohandels an“, kritisierte Ziegler. Denn Hersteller gefährdeten den Handel durch Agenturmodelle, wenn es keine fairen Vergütungen gebe. Das gelte nicht nur im Neuwagen-, sondern auch im Gebrauchtwagenbereich.

Ziegler: „Mit dem Agentursystem erlangen die Hersteller Zugriff auf Rückläufer beispielsweise aus Leasingverträgen. Aber das Gebrauchtwagengeschäft ist für die Erträge der Händler und die Wirtschaftlichkeit der Autohäuser von zentraler Bedeutung. Wenn sich dieses zu den Herstellern verlagert, hat das gravierende Auswirkungen auf die Ertragslage der Händler.“

Dann sei auch der Handel mit jungen Gebrauchtwagen in Gefahr. Der Systemstreit zwischen Agentursystem und klassischem Autohandel sei aber noch nicht entschieden, da inzwischen die chinesischen Hersteller bereitstünden, in entstehende Lücken hineinzustoßen, sagte Ziegler. Eine definierte er so: „Dem Handel fehlen Neuwagen zwischen 20.000 und 30.000 Euro – insbesondere im Segment der E-Autos.“

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Das habe zusammen mit der Kürzung der Förderung Folgen: „Das überproportionale Wachstum der E-Mobilität hat im Jahr 2023 voraussichtlich ein Ende.“

Werkstattgeschäft läuft gut, braucht aber die Daten

Bei den Werkstätten sieht der Verband die Kfz-Betriebe gut aufgestellt. Das lasse sich auch beim Werkstattverhalten ablesen. Der Service hat mit 3,8 Milliarden Euro um 10,8 Prozent zugelegt. Eine gestiegene Stammkundenquote in Werkstätten, ein weiterhin hohes Wartungsverhalten, aber weniger Reparaturarbeiten seien laut DAT die aktuellen Folgen der bisherigen Entwicklung. Allerdings sei auch die gute Position der Werkstätten in Gefahr: „Bei Fahrzeugdaten laufen schon die ersten Angriffe seitens der Hersteller.“

Mit Blick auf die Zukunft der Werkstätten sei auf EU-Ebene die Datenfrage ein Schlüsselproblem, denn die Hersteller versuchten die fahrzeuggenerierten Daten für sich zu monopolisieren. Ziegler: „Wir brauchen eine sektorspezifische Regelung zu diesen Daten. Denn ohne diese und die darauf aufbauenden Geschäftsmodelle fehlt den freien Kfz-Betrieben in Zukunft die Geschäftsgrundlage.“

Und auch die Markenautohäuser würden noch abhängiger vom Hersteller. Ein großes Betriebesterben, weniger Auswahl und höhere Preise für Werkstattkunden wären die Folge.

Forderung nach günstigen Autos

Der Verband werde die Interessen seiner rund 81.000 Beschäftigten in Autohäusern und Kfz-Werkstätten und die der Kunden im Auge haben, sagt Michael Ziegler: „Unsere Umsatzrendite liegt 2022 mit 3,3 Prozent bei einem Fünftel dessen, was manche Hersteller einfahren. Trotzdem sind wir zufrieden, weil wir uns erstmals in einer Größenordnung bewegen, die wir bisher immer nur als Zielgröße kannten.“

Ziegler abschließend: „Wenn deutsche Hersteller in dieser für sie aktuell komfortablen Lage der ausländischen Konkurrenz Tür und Tor öffnen, werden wir als Kfz-Gewerbe darauf reagieren. Wir brauchen im preissensiblen Bereich genügend Angebote, um die bezahlbare individuelle Mobilität sicherstellen zu können – das ist auch aus Kundensicht ein wesentliches Thema. Was da passieren kann, zeigt uns die Geschichte des Mobiltelefons. Es kauft heutzutage keiner mehr ein deutsches Smartphone – vor allem, weil es gar keine mehr gibt, seit Siemens das Geschäft verkauft hat.“

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