Chipmangel bei VW „Das Schlimmste liegt noch vor uns“

Volkswagen hat am Donnerstag seinen Vorstand neu aufgestellt. In der Planungsrunde 70 wurden aber auch kommende Investitionen verabschiedet. Welche Werke welche Modelle bekommen – und wie es in Sachen Chipmangel weitergeht.

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Volkswagen will unter anderem den Standort Wolfsburg stärken.
Volkswagen will unter anderem den Standort Wolfsburg stärken.
(Bild: Volkswagen)

Neben den Personalentscheidungen im Vorstand hat der Volkswagen-Aufsichtsrat am Donnerstag auch über die Investitionen des Konzerns in den kommenden Jahren abgestimmt. 89 von 159 Milliarden Euro will der Autobauer in sogenannte Zukunftsthemen wie Elektromobilität und Digitalisierung stecken. Volkswagen erwartet, dass 2026 jedes vierte verkaufte Auto aus dem Konzern einen batterieelektrischen Antrieb haben wird.

Im laufenden Jahr rechnet das Unternehmen mit rund 9 Millionen ausgelieferten Fahrzeugen. Die operative Marge soll sich zwischen 6 und 7,5 Prozent bewegen. Damit will sich in Wolfsburg für die kommenden Jahre aber niemand zufrieden geben: Das strategische Ziel für die operative Gewinnmarge vor Zinsen und Steuern liege bei 8 bis 9 Prozent des Umsatzes in den Jahren 2025/2026, teilte der Konzern mit.

Dabei soll auch die Weiterentwicklung des eigenen Produktionsnetzwerkes helfen. Zuletzt hatte sich Konzernchef Herbert Diess vor allem um die Zukunft der Zentrale in Wolfsburg besorgt gezeigt und war im Zuge dessen mit dem Betriebsrat aneinandergeraten. Nachdem bereits seit Kurzem klar ist, dass Wolfsburg ein neues Werk erhält, in dem das Zukunftsauto Trinity gebaut wird, scheinen die Wogen wieder etwas geglättet.

ID3 kommt nach Wolfsburg

Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass Wolfsburg Teile der ID3-Produktion erhält. Ab 2023 soll das Elektroauto am Mittellandkanal teilgefertigt werden, ab 2024 ist dann auch eine Vollfertigung vorgesehen. Der Standort Zwickau, an dem der ID3 aktuell hauptsächlich produziert wird, könne die Nachfrage in Zukunft nicht allein bedienen, hieß es dazu. Wolfsburg bleibe damit das „Kraftzentrum des Konzerns“, erklärte Betriebsratschefin Daniela Cavallo. Zwar müssten Stellen abgebaut werden, dies solle aber sozialverträglich geschehen.

Klarheit herrscht derweil über den Fortbestand des Volkswagen-Nutzfahrzeuge-Werks in Hannover. Dort wird das Zukunftsprojekt Artemis angesiedelt. Außerdem erhält der Standort die Karosseriefertigung eines neuen Bentley-Modells. Mit der Fertigung des ID Buzz und einiger Derivate davon, wie dem neu angekündigten ID California und den autonomen Shuttles für die Ridepooling-Tochter Moia soll für genügend Auslastung gesorgt werden. Diess erklärte, Hannover solle eine „Speerspitze für autonomes Fahren und ein Technologiestandort für den Konzern“ werden.

Neben Fahrzeugmodellen werden in der niedersächsischen Landeshauptstadt künftig neben Hardware für Ladeinfrastruktur auch Achsen für MEB-Autos gefertigt. In Braunschweig, Kassel und Salzgitter investiert Volkswagen in den Ausbau der Produktion von Batteriesystemen, Rotoren/Statoren und E-Motoren. Außerdem bereiten sich die Standorte auf die Fertigung von Komponenten für die kommende Einheits-Plattform SSP vor. Salzgitter soll zudem mit zwei Milliarden Euro weiter zum „europäischen Batterie-Hub“ ausgebaut werden.

Weitere Produktionsentscheidungen, die der Volkswagen-Aufsichtsrat am Donnerstag verabschiedet hat:

  • In Leipzig sollen mit zwei Porsche-Modellen die Synergien des elektrischen PPE-Baukastens für den Premiumbereich gehoben werden
  • Neckarsulm bekommt die Baureihe E6 (Audi A6 E-Tron)
  • Brüssel baut ab 2026 den Audi Q8 E-Tron
  • Das Mehrmarkenwerk Martorell (Spanien) soll ab 2025 kompakte E-Fahrzeuge bauen. Für das spanische Mehrmarkenwerk Pamplona sind elektrische SUVs vorgesehen. Allerdings hängen jene Entscheidungen noch von der staatlichen Förderung vor Ort und den allgemeinen Rahmenbedingungen ab

Betriebsratschefin Cavallo zeigte sich mit den Ergebnissen der Planungsrunde zufrieden. „Heute ist ein guter Tag für die Kolleginnen und Kollegen von Volkswagen“, sagte sie am Donnerstag. Volkswagen sei „aufs Neue ein Paradebeispiel dafür, wie ein fairer Wandel und Umbau ablaufen kann.“

„Dramatischer Tiefststand“ wegen Chipmangel

Gänzlich ungetrübt ist die Stimmung aber nicht. Das liegt vor allem am Halbleitermangel, der Volkswagen wohl auf jeden Fall noch das gesamte kommende Jahr beschäftigen wird. Cavallo zeigte sich besorgt darüber, dass im Stammwerk Wolfsburg in diesem Jahr aller Voraussicht nach weniger als 400.000 Autos gebaut würden. Das sei ein „dramatischer Tiefststand seit den 1950er Jahren.“ Die Betriebsratschefin stimmte die Belegschaft auch deshalb darauf ein, dass die kommenden Wochen und Monaten hart werden dürften, eine „echte Durststrecke“ und weitere Schließungstage drohen wohl. „Das Schlimmste liegt noch vor uns. Das gehört zur Wahrheit dazu“, so Cavallo.

Die Beschäftigten müssen sich aufgrund der Situation auf Veränderungen einstellen. „Die bisherigen Fahrweisen haben keinen Bestand, und die Schichtmodelle sollen auch für die Stammbelegschaft neu sortiert werden“, hieß es von Cavallo in der Betriebsratszeitschrift „Mitbestimmen“. Dazu gehe die Arbeitnehmervertretung nun in Gespräche. Die Belegschaft dürfe die Auswirkungen des Halbleitermangels nicht einseitig tragen, sagte Cavallo.

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