Der Fall Porsche „P1“: Stunde der Gutachter

Autor / Redakteur: sp-x / Dipl.-Päd. Gerd Steiler

Seit Wochen tobt ein Streit um den „P1“, den angeblich ersten Porsche. Nach Expertenzweifeln und Fälschungsvorwürfen antwortet Zuffenhausen jetzt mit eigenen Gutachten.

Stammvater Porsche P1: Seit Januar erst hat das kutschenähnliche Gefährt aus dem späten 19. Jahrhundert einen Ehrenplatz im Zuffenhausener Porsche-Museum.
Stammvater Porsche P1: Seit Januar erst hat das kutschenähnliche Gefährt aus dem späten 19. Jahrhundert einen Ehrenplatz im Zuffenhausener Porsche-Museum.
(Foto: Porsche)

Eventuell muss die Geschichte von Porsche nun doch nicht umgeschrieben werden. Zumindest legen das die zwei Gutachten nahe, die das Sportwagenunternehmen nach dem Wirbel um die Echtheit des sogenannten „P1“ jetzt in Auftrag gegeben hatte. Seit Januar erst hat das kutschenähnliche Fahrzeug aus dem späten 19. Jahrhundert als Stammvater einen Ehrenplatz im Firmenmuseum, denn an der Entwicklung und Konstruktion des achteckigen Elektromotors dieses Egger-Lohner C.2 Phaeton hatte ein junger Techniker namens Ferdinand Porsche maßgeblichen Anteil.

Dann kamen von Seiten der Fachwelt Zweifel an der Echtheit auf. „Autobild Klassik“ vermutete gar nachträgliche Manipulation. Professor Kurt Möser, einer der renommiertesten Technikhistoriker des Landes, sowie die Restauratorin und Denkmalexpertin Gundula Tutt haben in den letzten Wochen den angeblich ersten Porsche auf Herz und Nieren untersucht und kommen zum Schluss, dass das Fahrzeug durchaus die Handschrift des Markengründers trägt und seinen Platz in der Historie des Hauses beanspruchen darf.

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Team „CSI Zuffenhausen“ fahndet

Quasi wie ein Team CSI Zuffenhausen fahndeten der Wissenschaftler und die Restauratorin nach Beweisen für die Unschuld – sprich: die Echtheit – des P1. Sie sichteten dafür Archivunterlagen wie technische Zeichnungen, Notizen und Briefe und nahmen zum Beispiel verschiedene Untersuchungen der verwendeten Materialien und der Komponenten des Fahrzeugs vor. Entzündet hatte sich die heftige Debatte an der in Bauteilen der Elektrokutsche eingeschlagenen Kennzeichnung „P1“, die von Ferdinand Porsche selbst stammen sollte. Dieses E-Automobil des österreichischen Kutschenfabrikanten Egger-Lohner war die längste Zeit im Besitz des Technischen Museums Wien (TMW) und lagerte im Depot. Laut einem Gutachten des österreichischen Automobilhistorikers Karl Eder von 2009 besaß die Kutsche aus den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts aber weder den Porsche-Einschlag auf der Radnabe noch die Plakette „Lohner-System Porsche“. Fertig war der Skandal, den auch dortige Medien wie die Krone aufgriffen.

Wolfgang Porsche, Aufsichtsratschef der Porsche AG und Enkel des Firmengründers, hatte das Gefährt von einem Sammler erworben. Zum fünfjährigen Jubiläum des Museums Ende Januar wurde es enthüllt. Mit seinem heckseits montierten 3-PS-Elektromotor (ein Leichtgewicht von 130 Kilogramm) eröffnet es den Blick auf die ihrerseits legendäre Nachkommenschaft, den neuen Hybrid 918 Spyder inklusive.

Unterm Elektronenmikroskop

Natürlich konnte Porsche die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen. Zumal auch das TMW als eine der führenden technischen Sammlungen bezüglich der Echtheit der Porsche-Angaben eine Augenbraue hochgezogen hatte. Also fuhr man parallel zu den Untersuchungen von Möser/Tutt eines der schwersten Geschütze auf, welche die moderne Naturwissenschaft zu bieten hat: das Rasterelektronmikroskop. An Hand der Kraterlandschaft aus patiniertem Metall, Kratzern und Einschlägen, die sich dem Laienauge bietet, konnten die beiden Experten durch Messungen belegen, dass die inkriminierte Kennzeichnung sehr wohl aus der Zeit um 1898 stammen müsse.

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Zur Vorstellung der Gutachten im Porsche Museum waren auch Vertreter des Technischen Museums eingeladen, die allerdings nicht zusagten. Für Kurt Möser ist die „P1“-Debatte ohnehin „ein Nebenkriegsschauplatz“. Der Historiker bewertet diese selbstfahrende Kutsche als Ikone aus der Frühzeit des German Engineering. Ihn begeistert das Kollage-Verfahren mit dem sich damalige Tüftler aus dem Fahrrad-, Kutschen- und Straßenbahnbau bedient hätten. Für ihn ist der C.2 Phaeton ein reines und höchst seltenes – weil erhaltenes – Versuchsfahrzeug, das bereits 1898 im Einsatz war. Das TMW hatte diese Datierung angezweifelt. Aber es ist eine Plakette mit diesem Jahr erhalten – diese Stempelmarken waren laut seinem Gutachten in der K.u.K.-Monarchie jeweils auf das Gebrauchsjahr bezogen.

Brisante Porsche-Notiz

Moniert wurde von den Kritikern nicht nur die Echtheit der Einschläge, sondern, was wohl noch mehr wiegt, die tragende Rolle von Ferdinand Porsche bei der Entwicklung des spezifischen Oktogon-Elektromotors. Hier hat der Professor vom Karlsruher Institut für Technologie erfolgreich in den Archiven von Porsche und des TMW gefahndet. Er fand Konstruktionszeichnungen und Notizen, die mit dem Kürzel FP signiert waren. Zusammen mit einem Bild, das den stolzen jungen Techniker mit seinem achteckigen Motor zeigt, Indizien dafür, dass der junge Porsche mehr war als ein Assistent. Außerdem barg er eine Zeichnung mit sichtbaren Spuren der Ausradierung, die aufzeigt, dass der Konstrukteur mit der Platzierung des Antriebs entweder auf der Vorder- oder Hinterachse experimentiert hatte. Das TMW hatte übrigens den C.2 gegen andere historische Fahrzeuge bei einem Sammler eingetauscht. Von ihm hatte Porsche die Elektrokutsche fürs Firmenmuseum erworben. Stutzig machte Möser, dass die beiden Autos einen wesentlich höheren Wert als der von Gutachtern wie Eder auf rund 35.000 Euro taxierte C.2 besitzen. Ein Beleg für den tatsächlichen Wert als lupenreiner erster Porsche?

Ideenklau war auch in der Gründerzeit nicht gänzlich unbekannt. Zu den vielen Unterlagen, welche die Gutachter vorlegten, gehört auch eine brisante Porsche-Notiz von 1940. Ferdinand Porsche, der 1951 starb, erinnerte sich, dass der Schwiegersohn des Kutschenfabrikanten Egger seine Entwicklung unter eigenem Namen zum Patent anmeldete. Danach hätte der Fabrikant nie wieder eine Konstruktion beim Amt eingereicht. FP verließ das Unternehmen, nachdem es Streit unter den Pionierpersönlichkeiten gegeben hatte.

Einzigartige Kontroverse

Als Restauratorin schmunzelt Gundula Tutt über den „Fetisch der Einschläge“. Sie hat die Materialien und Oberflächen des Porsche-Phaeton untersucht, zum Teil mit der Spektralanalyse. Der abblätternde gelbliche Lack konnte nicht später als 1898 aufgetragen worden sein. Nicht zuletzt, weil in diesem Jahr Kaiser Franz Josef sein 50. Thronjubiläum feierte und das Kutschenunternehmen als Hoflieferant das Gelb der Habsburger würdigen wollte. Auch die Bestandteile des Auftrags entstammen dieser Zeit, ebenso wie die Reste von Glimmer im oberen Vorbau des Fahrzeugs. Dieser mineralische Stoff wurde um die Jahrhundertwende als elektrisches Isoliermittel eingesetzt. Erste Zeichnungen des Versuchsfahrzeugs zeigen, dass hier ursprünglich die Batterie aufgesetzt worden war. Das umfangreiche Gutachten zeigt unter anderem auch Messkurven, die mit der Infrarotspektroskopie entstanden sind.

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Wenn man erlebt, welches Instrumentarium den Automobildetektiven zur Verfügung steht, um Alter, Urheberschaft und Provenienz festlegen zu können, fragt man sich, weshalb einige der namhaftesten Museen der Welt auf den berühmten Kunstbetrüger Wolfgang Beltracchi hereinfallen konnten? Ferdinand Porsche wurde nicht vom jungen Picasso inspiriert. Soviel steht wohl fest. Mit dem P1 stach man aber in ein Wespennest. Ob jetzt im Gegenzug nach den jüngsten Gutachten die Hornissen losgelassen werden, muss man abwarten. Aber: Wann je hat ein verstaubtes Vehikel eine derartige Kontroverse ausgelöst?

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