A-Klasse Ich glaub mich knutscht ein Benz
Sie zielte auf Familien ab, machte aber jede Menge Senioren und Seniorinnen glücklich. Ein anfänglich „umwerfender“ Charakter schadete ihr langfristig gesehen nicht. Vor 25 Jahren erblickte die sogenannte Elch-Klasse das Licht der Welt.
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So manche(r) hat einen solchen – egal ob Mensch oder Unternehmen. Die Rede ist vom schwarzen oder Schandfleck. Eine Entscheidung, die man besser anders getroffen, ein Erlebnis, das man besser nicht gehabt hätte. Im Nachhinein schweigt man meist darüber. Beispiel Mercedes-Benz und das Motorsportjahr 1999. Genau, jenes Jahr, in dem die CLR-Silberpfeile in Le Mans statt der Konkurrenz sich selbst von der Piste fegten und besser fliegen als fahren konnten. Das Rennsportjahr 1999 existiert für die Stuttgarter sozusagen nicht. 20 Monate zuvor gab es ebenfalls ein Ereignis, das Mercedes-Benz am liebsten ungeschehen gemacht hätte. Seit diesem Zeitpunkt im Oktober 1997 weiß jedes Kind, was ein „Elchtest“ ist – aber der Reihe nach.
Am Anfang stehen zwei Showcars: Der „Vision A 93“ sowie die darauf basierende „Studie A“ machen in den Jahren 1993 und 1994 die Öffentlichkeit vertraut mit dem neuen Fahrzeugkonzept, mit dem Mercedes-Benz in ein für die Marke neues Fahrzeugsegment startet. Unterhalb von S-Klasse und E-Klasse führen beide Konzeptfahrzeuge direkt zur A-Klasse (Baureihe 168). Diese stellt der Autobauer 1997 vor und baut sie bis 2005. Mehr als 1,1 Millionen Käufer entscheiden sich in dieser Zeit für eine A-Klasse.
Abrundung der Modellpalette nach unten
Für viele Jahrzehnte gehören die Personenwagen von Mercedes-Benz der Oberklasse und der oberen Mittelklasse an. Das ändert sich 1982 mit der Vorstellung des 190/190 E (W 201), eine kompakte Limousine, mit der die Marke das Portfolio nach unten hin erweitert. Ab 1996 startet Mercedes-Benz eine Produktoffensive: Es debütieren der Roadster SLK (Baureihe 170), die A-Klasse, das SUV M-Klasse (Baureihe 163), sowie der CLK als Coupé und Cabriolet (beide Baureihe 208). Parallel dazu kommen die Modellreihen C-Klasse, E-Klasse, S-Klasse, CL-Coupés, SL und G-Klasse in ihren jeweiligen Zyklen auf den Markt. Als Ergebnis sind die Stuttgarter breiter denn je aufgestellt.
Erste Ausführungen des Konzeptfahrzeugs Vision A 93 entwickelt der Autobauer ab 1991. Es sorgt im September 1993 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main für Aufsehen. Obwohl sich bis zur Weltpremiere der A-Klasse auf dem Genfer Auto-Salon im März 1997 noch manches ändert, ist das Grundkonzept bereits erkennbar. Die Gesamtlänge beträgt nur 3.350 Millimeter und liegt somit auf dem Niveau eines viersitzigen Stadtwagens. 1994 zeigt die Studie A bereits ein Design nah am Serienfahrzeug. Dazu gehört die in die C-Säule schräg nach oben verlaufene Gürtellinie. Die Länge wächst gegenüber dem Vision A 93 um 225 Millimeter und beträgt nun 3.575 Millimeter.
Sicherheit auf dem Niveau der E-Klasse
Die A-Klasse ist nicht nur die erste serienmäßig produzierte Mercedes-Benz-Personenwagenbaureihe mit Frontantrieb, gleichzeitig verkörpert sie die markentypische passive Sicherheit: Das Sandwichkonzept führt zu einem in dieser Fahrzeugklasse bisher nicht gekannten Sicherheitsniveau. Dabei sind Motor, Getriebe und Achsen vor und unter dem Fahrzeugboden untergebracht. In dem patentierten geradlinigen Verbund von Längs- und Querträgern sind Batterie, Auspuffanlage und Kraftstofftank sicher platziert. Die Sandwichbauweise bietet den Insassen zudem einen hohen Schutz bei Frontal- und Seitencrashs. Im Fall eines heftigen Frontalaufpralls schiebt sich die schräg eingebaute Motor-Getriebe-Einheit unter den Passagierraum. So erreicht die passive Sicherheit der A-Klasse das Niveau der E-Klasse.
Aufregung dann kurz nach Produktionsbeginn im Oktober 1997: Bei einem nicht standardisierten Fahrversuch („Elchtest“) in Schweden kippt eine A-Klasse um. Mercedes-Benz reagiert und rüstet alle Fahrzeuge der Baureihe serienmäßig mit dem Elektronischen Stabilitätssystem ESP sowie dem Automatischen Brems-Assistenten BAS aus. Hinzu kommen eine straffere Feder-Dämpfer-Abstimmung, ergänzt durch eine Tieferlegung der Karosserie sowie Reifen der Größe 195/50 R15 statt der ursprünglichen Dimension 175/65 R15. Alle 18.000 bereits ausgelieferten Fahrzeuge werden für die Kunden kostenfrei umgerüstet. Mit ESP, BAS, Airbags und Sidebags in den vorderen Türen, Gurtstraffern und Gurtkraftbegrenzern ist die A-Klasse so gut ausgestattet wie sonst kein anderes Fahrzeug des Segments. Damit ebnet sie den Weg zur branchenweiten Verbreitung dieser Systeme für die aktive Sicherheit insbesondere in kleineren Fahrzeugen.
Variables Raumkonzept
Wegen des doppelten Bodens sitzen die Insassen der A-Klasse vergleichsweise hoch. Das ermöglicht einen bequemen Einstieg und macht den Wagen lange vor einem SUV-Hype gerade bei Senioren und Seniorinnen populär. Hinzu kommt ein Raumkomfort wie bei einem fünftürigen Mittelklasse-Kombi. Die Fondsitzbank lässt sich verschieben oder herausnehmen. Als Sonderausstattung ist der Beifahrersitz mit wenigen Handgriffen demontierbar. Insgesamt sind 72 verschiedene Sitzanordnungen möglich. Ein ebener Laderaumboden und eine große Heckklappe in Verbindung mit einer niedrigen Ladekante erleichtern das Be- und Entladen dieser A-Klasse mit Minivan-Charakter. Beliebtes Extra: das Lamellenschiebedach. Erstmals bei einer Großserie von Mercedes-Benz bestehen die vorderen Kotflügel aus Kunststoff, ebenso die Heckklappe. Das Fahrzeuggewicht beträgt lediglich 1.000 Kilogramm. Noch mehr Innenraum bietet die 2001 in Genf vorgestellte A-Klasse mit einem um 170 Millimeter verlängerten Radstand. Dieses Raumwunder mit dem Platzangebot einer Oberklasselimousine schätzen auch zahlreiche Taxiunternehmen.
Das Sandwichprinzip erfordert die Konstruktion einer Generation neuer Vierzylindermotoren. Zunächst werden die beiden Ottomotoren der Baureihe M 166 in den Modellen A 140 und A 160 angeboten. Bereits 1998 folgen die Dieseltriebwerke der Baureihe OM 668. Mit einem Kraftstoffverbrauch von 4,5 beziehungsweise 4,9 Litern (NEFZ-Gesamtverbrauch) sind die Dieselmodelle A 160 CDI und A 170 CDI leidlich sparsam. Diese Turbodieselmotoren gehören zu den ersten mit der von Mercedes-Benz gemeinsam mit Bosch entwickelten Common-Rail-Technik. Vom Institut „Öko-Trend“ aus Wuppertal wird der A 160 CDI 1998 mit dem Titel „Umweltverträglichstes Auto Deutschlands“ ausgezeichnet.
Es lebe der Sport
Das Leistungsspektrum der vier Motoren reicht zunächst von 44 kW (60 PS) bis 75 kW (102 PS). 1999 wird der A 190 mit 82 kW (125 PS) zur stärksten A-Klasse, bevor dann 2002 der mit AMG-Elementen versehene A 210 Evolution mit 103 kW (140 PS) den Spitzenplatz der Modellreihe einnimmt. Er erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 203 km/h, der Sprint von 0 auf 100 km/h erfolgt in 8,2 Sekunden. Nicht zur Serienreife gelangt eine Elektroversion der A-Klasse mit im Sandwichboden untergebrachten Natrium-Nickelchlorid-Akkus.
Versagen beim Elchtest hin oder her: Das Publikum nimmt die A-Klasse von Mercedes-Benz gut an. Von 1997 bis zur Modellpflege 2001 werden 550.000 Exemplare der ersten Generation verkauft. Die Millionengrenze überschreitet die Baureihe 168 im Jahr 2003. Gebaut wird sie in den Werken Rastatt und – bis 2005 – im brasilianischen Juiz de Fora. Insgesamt entstehen 1.159.321 Fahrzeuge bis zur Ablösung durch die zweite Generation (Baureihe 169). Diese wird 2004 vorgestellt, setzt ebenfalls auf das Sandwichkonzept und wird Verkaufsmillionär.
Formel-1-Optik und Modellpflege
Mika Häkkinen und das Team McLaren-Mercedes gewinnen am 1. November 1998 die erste Formel-1-Weltmeisterschaft für Mercedes-Benz seit dem Titel von Juan-Manuel Fangio 1955 im legendären Silberpfeil W 196 R. Häkkinens Teamkollege David Coulthard erreicht in der Fahrerweltmeisterschaft Platz 3. Zur Essen Motorshow im November 1998 stellt Mercedes-Benz zwei besondere Varianten der A-Klasse vor: die Edition Häkkinen und die Edition Coulthard. Angelehnt an die Farbgebung der Rennwagen samt Startnummern der beiden Formel-1-Piloten entstehen jeweils 125 Exemplare dieser ganz besonders auffälligen A-Klasse. Prägnant, wenn auch weniger spektakulär, fällt im Jahr 2001 eine umfangreiche Modellpflege aus. Ingenieure und Designer passen 980 Bauteile an und versehen die A-Klasse unter anderem mit dem ESP der vierten Generation sowie einem verbesserten hydraulischen Bremsassistenten.
Wer es stattdessen weniger auffällig haben wollte, dafür aber richtig schnell unterwegs sein wollte, für den hatte AMG, damals noch im Besitz der Daimler AG, etwas ganz Besonderes geplant: den AMG A 190 Twin, auch bekannt als AMG A 38. Und „besonders“ ist keineswegs übertrieben: Denn statt wie bei fast allen Automobilen üblich, besitzt die AMG-A-Klasse nicht einen, sondern zwei Motoren. Dazu hatten die Affalterbacher Ingenieure kurzerhand ein zweites 1,9-l-Serienaggregat ins Heck des Kompaktwagens gepflanzt. Das Ergebnis sind in Summe 3,8 Liter Hubraum und 250 PS (186 kW). Die beiden Serien-5-Gang-Halbautomatikgetriebe werden per Schaltzug betätigt. Als Höchstgeschwindigkeit werden 230 km/h genannt. Und die 0 auf 100 km/h soll die A-Klasse mit den zwei Herzen in gerade mal 5,9 Sekunden geschafft haben. Um ebenso schnell wieder zum Stehen zu kommen, erhielt das Fahrzeug die Bremsanlage des E 55 AMG (W210) nebst 18-Zoll-Felgen. Aus einer Kleinserienproduktion so wie angedacht, wurde aber leider nichts. Nach nur vier Exemplaren vom A 190 Twin/AMG A 38 war Schluss. Je einer ging an die McLaren-Mercedes Formel-1-Piloten Mika Häkkinen und David Coulthard (siehe Bildergalerie).
Die Über-A-Klasse
Noch deutlich schärfer geriet eine A-Klasse, die die HWA AG 2002 fertiggestellt hatte. Ihr Heck ziert die Bezeichnung „AMG A 32K“. Und wer sich in der Mercedes-Nomenklatur auskennt, der weiß: Hier sind 3,2 Liter Hubraum plus ein Kompressor am Werk. Und die nicht nur im serienmäßigen, sondern im typischen HWA/AMG-Zustand, sprich deutlich modifiziert. Satte 354 PS (260 kW) Leistung und 450 Nm Drehmoment (bei 4.400/min) machen den A32K zur schnellsten straßenzugelassenen A-Klasse ever. Das entsprechende Spenderaggregat stammt von einem AMG C 32K auf Basis der C-Klasse W203. Doch nicht nur das: Auch der Antrieb, also Getriebe und sogar die Achsen stammen aus der C-Klasse. Das heißt, der AMG A 32 K ist die einzige A-Klasse, die über Heckantrieb verfügt.
Um das gesamte Paket in dem nicht mal 3,6 Meter langen Wagen unterzubringen, waren umfassende Umbauarbeiten vonnöten. So musste der Bodenbereich umfangreich geändert werden und auch die Kardanwelle und etliche Lenker der Hinterachse sind lupenreine Einzelanfertigungen. Die Spritzwand hingegen entstand komplett neu. Dadurch rutschte die Sitzposition um sieben Zentimeter nach hinten. Die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h gab HWA mit fünf Sekunden an. Die Höchstgeschwindigkeit wie auch beim AMG C32K war bei 250 km/h begrenzt. Nicht begrenzt bzw. abschaltbar war das ESP an Board des kleinen Wilden. Das wurde seinerzeit eigens für die Einzelanfertigung abgestimmt. Schließlich unterscheiden sich Schwerpunkt, Gewicht auch Fahrwerksabmessungen etwas von einer C-Klasse – und erst recht von einer A-Klasse.
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