Daimler-Thermofenster Verringerte Reinigungswirkung ist laut BGH nicht sittenwidrig
Wegen erhöhter Abgas-Emissionen muss sich neben dem Volkswagen-Konzern auch Daimler juristisch verantworten. Die verringerte Abgasreinigung in Daimler-Modellen bei bestimmten Temperaturen bewirkt laut dem BGH jedoch keine Schadenersatzansprüche von Käufern. Abschließend behandelt ist das Thema aber nicht.

Anders als die bewusst verbauten Abschalteinrichtungen in Modellen des Volkswagen-Konzerns ist eine sinkende Reinigung von Abgasen mittels so genannter Thermofenster aus Sicht des Bundesgerichtshofs (BGH) nicht sittenwidrig. Damit verneinte das Gericht in einem Beschluss vom 19. Januar das Anliegen eines Klägers auf Schadenersatz des Käufers eines Mercedes C 220 CDI (Az.: VI ZR 433/19).
Der VI. Zivilsenat des BGH verdeutlichte in seinem Beschluss explizit den Unterschied zu den Verfahren gegen Volkswagen, die zu einer Verurteilung des Autobauers wegen sittenwidriger Schädigung der Käufer geführt hatten (Senatsurteil vom 25. Mai 2020 (VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 zum VW-Motor EA189). Die Wolfsburger hätten sich „im eigenen Kosten- und Gewinninteresse“ bewusst entschieden, mittels einer eigens entwickelten Motorsteuerungssoftware der Genehmigungsbehörde „wahrheitswidrig vorzuspiegeln, dass die von ihm hergestellten Dieselfahrzeuge die neu festgelegten Grenzwerte einhalten“.
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Diesel-Verhandlung: BGH sieht sittenwidriges Handeln von VW
Im Falle des Daimler-Thermofensters fehlt den Richtern dagegen der arglistige Charakter, um das Vorgehen als objektiv sittenwidrig zu qualifizieren. Das Thermofenster entfalte seine Wirkung unabhängig vom Betriebszustand und Einsatzort, auf der Straße wie auf dem Prüfstand. Damit wurde das vorgegebene Prüfverfahren nicht ausgetrickst. Die Abgasreinigung arbeite vielmehr in allen Fahrsituationen im Grundsatz in gleicher Weise.
Um einen Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen, müsste laut dem BGH der Nachweis erbracht werden, dass Personen bei Daimler in dem Bewusstsein gehandelt haben, „eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen“. Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte in seinem Urteil darauf hingewiesen, dass die Gesetzeslage hinsichtlich der Zulässigkeit von Thermofenstern nicht eindeutig sei. „Vorsatz“ sei dadurch folglich schwer zu erkennen.
Nicht geäußert hat sich der BGH im Zuge der Verhandlung zu einem kürzlich ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Dieser hatte Thermofenster zu illegalen Abschalteinrichtungen erklärt. Eine „Software, die die Höhe der Fahrzeugemissionen nur unter Bedingungen gewährleistet, die den für die Zulassungsverfahren geltenden Bedingungen entsprechen, (stellt) eine Abschalteinrichtung dar“, heißt es in dem Urteil vom 17. Dezember 2020. Juristen bewerteten das Urteil zwar als wegweisend, dennoch müsse jeder Fall einzeln betrachtet werden.
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Dieselgate
EuGH erklärt „Thermofenster“ zu illegalen Abschalteinrichtungen
Prozess geht trotzdem in die Verlängerung
In dem konkreten Fall muss sich das OLG dennoch erneut mit dem Fall befassen. Die Unterinstanz habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass der Kläger sein Ansinnen nicht ausreichend begründete, der Autobauer habe einen Gesetzesverstoß durch das Thermofenster billigend in Kauf genommen. Aus Sicht des Klägers hatte Daimler im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht. Diesen Punkt muss das OLG nun nochmals prüfen. Das Blatt könnte sich am Ende also nochmals gegen den Hersteller wenden.
Erledigt ist das Thema Diesel-Klagen und möglicher Schadenersatz für Daimler sowieso noch nicht. Der BGH will sich im März ausführlicher damit beschäftigen. Zweimal war bereits eine Verhandlung angesetzt. Beide kamen jedoch nicht zustande, weil die Kläger ihre Revision gegen ein vorangegangenes Urteil jeweils kurzfristig zurückgezogen hatten. Daimler hält einen Großteil der Klagen mit der Einschätzung aus Karlsruhe trotzdem für weitgehend abgeräumt. „Wir gehen davon aus, dass die Entscheidung des BGH Leitcharakter für Tausende von Gerichtsverfahren in Deutschland haben wird“, sagte ein Sprecher der „DPA“.
Im zugrundeliegenden Fall hatte der Autokäufer am 19. Januar 2012 den neuen Mercedes vom Hersteller für 32.106,20 Euro gekauft. Das Fahrzeug erfüllte laut Typgenehmigung die Schadstoffklasse Euro 5. Die entsprechenden niedrigen Emissionswerte erreichte das Auto über die Abgasrückführung. Diese wird allerdings bei kühleren Temperaturen reduziert („Thermofenster“), wodurch die Stickoxid-Emissionen ansteigen.
Der Kläger behauptete, die Motorsteuerung reduziere bei einstelligen positiven Außentemperaturen die Abgasrückführung und schalte sie schließlich ganz ab. Die Steuerung der Abgasrückführung ist aus seiner Sicht eine unzulässige Abschalteinrichtung, die Daimler der Genehmigungsbehörde gezielt vorenthalten und verschleiert habe. Mit seiner Klage verlangt der Kläger von der Beklagten im Wesentlichen die Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs.
Dies wurde von den Vorinstanzen jedoch abgelehnt, zuerst vom Landgericht Köln (Az.: 8 O 85/18) und danach vom OLG Köln (Az.: 6 U 57/19). Das OLG sah in dem Verhalten weder Arglist noch Sittenwidrigkeit.
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Dieselaffäre: BGH weist Kläger in zweitem Verfahren ab
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