VW nennt Zeitplan für den Diesel-Rückruf
Mit einem simplen Plastiksieb will VW das Abgasverhalten der 1,6-Liter-TDI-Motoren wieder mit den Vorschriften in Einklang bringen. Doch der Rückruf startet erst im dritten Quartal 2016 – vorher sind die 2,0- und 1,2-Liter-Maschinen dran.
Anbieter zum Thema

Warum denn nicht gleich so? Das dachten nicht nur die Millionen VW-Besitzer, sondern auch viele Fachleute, als ihnen der Wolfsburger Konzern die Hardware-Lösung für das Abgasproblem beim 1,6-Liter-Dieselmotor präsentierte. Ein simples Plastikrohr mit Gitter – von VW hochtrabend Strömungstransformator genannt – soll den verwirbelten Luftstrom vor dem Luftmassenmesser beruhigen und so die Messgenauigkeit des Luftmassenmessers verbessern.
Ein solches Gitter ist bei den meisten Sensoren dieser Bauart ohnehin vorhanden. Beim 1.6 TDI hingegen nicht – der Verdacht drängt sich auf, dass VW beim Einkauf ein paar Cent sparen wollte und deshalb auf den Gleichrichter verzichtete. Das Unternehmen selbst allerdings behauptet, dass diese Technik zum Zeitpunkt der Entwicklung des EA 189 noch nicht verfügbar gewesen sei. Doch Luftmassenmesser mit vorgeschaltetem Gleichrichter gibt es schon lange.
Ihn nun nachträglich zu integrieren, dürfte jedenfalls deutlich teurer werden. Knapp eine Stunde soll der Einbau inklusive des notwendigen Software-Updates dauern. Bei den ebenfalls betroffenen Motoren mit 1,2 und 2,0 Litern Hubraum ist die Sache hingegen mit einem Software-Update aus der Welt zu schaffen. VW will die Rückrufaktion Anfang 2016 starten und im Lauf des Jahres zu Ende bringen.
Ein ambitionierter Zeitplan: Immerhin sind in Deutschland 2,4 Millionen Autos der Konzernmarken VW, Audi, Skoda und Seat betroffen. In jedem der insgesamt rund 3.000 Markenbetriebe rollen im Durchschnitt also 800 Fahrzeuge an. Auch wenn viele Betriebe versuchen dürften, die Rückrufaktion mit einem ohnehin geplanten saisonalen Check oder der Inspektion zu verbinden, muss man die Vielzahl der Aufträge erst einmal stemmen.
Schon vor dem Rückruf haben die Händler viel Arbeit
Schon jetzt ist der zusätzliche Aufwand nicht zu unterschätzen: „Die Abwicklung der Mangelansprüche (...) ist regelmäßig mit großem Zeitaufwand für uns Händler verbunden. Wir benötigen aktuell pro Partner circa 30 Mannstunden pro Woche für die zusätzliche Betreuung der Kunden in Bezug auf die Abgasproblematik“, teilte ein Markenhändler »kfz-betrieb« mit. „Da zugleich eine arglistige Täuschung der beiden Hersteller (Audi und VW) vorliegt, gehen wir davon aus, dass die beiden Hersteller für die entstehenden Mehraufwendungen ersatzpflichtig sind. Das gilt umso mehr, wenn und soweit beispielsweise aufgrund fehlender Hinweise und Anweisungen der Hersteller die Einschaltung unserer eigenen Anwälte notwendig wird.“
Vergütung der Händler ähnlich wie bei anderen Rückrufen
Der Rückruf der volumenstärksten Variante, des 2,0-Liter-TDI, beginnt im Januar 2016. Voraussichtlich im zweiten Quartal startet der Rückruf des 1,2-Liter. Der Rückruf für die 1,6-Liter-Modelle ist für das dritte Quartal geplant, da die benötigten Teile erst produziert werden müssen. „Alle Betriebe werden von uns vorab aktiv zu den betroffenen Fahrzeugen und den jeweiligen erforderlichen Maßnahmen informiert“, erklärte ein VW-Sprecher gegenüber »kfz-betrieb«. „Selbstverständlich haben die Händler innerhalb dieser Wellen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Planung von Kundenterminen.“
Dass den Kunden durch diese Aktion keine Kosten entstehen sollen, hat das Unternehmen bereits zugesichert. Doch wie sieht es bei den Händlern aus? Hierzu hieß es bei VW: „Wir arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung der technischen Maßnahmen für die betroffenen EA-189-Dieselmotoren. Ein wichtiger Bestandteil ist die Vergütung des entsprechenden Arbeitsaufwands in den Händlerbetrieben. Wir befinden uns im engen Austausch mit den Vertretern unserer Handels- bzw. Servicepartner und werden in Kürze ein geeignetes Vergütungsmodell vorstellen. Dieses wird sich an den bisherigen Regelungen im Zusammenhang mit der Abarbeitung von Rückrufmaßnahmen orientieren. Die Kosten für die Ersatzmobilität trägt ebenfalls die Volkswagen AG.“
Skandalursache: Fehlverhalten Einzelner traf auf mangelhafte Prozesse
Auf einer Pressekonferenz am Donnerstag in Wolfsburg gaben der Aufsichtsratsvorsitzende Hans Dieter Pötsch und Vorstandschef Matthias Müller erste Zwischenergebnisse der Untersuchung zu den Ursachen des Abgas-Skandals bekannt. Die Ausgangsfaktoren, unter denen die illegale Software entstanden ist, seien gewesen:
- individuelles Fehlverhalten und persönliche Versäumnisse einzelner Mitarbeiter
- Schwachstellen in einigen Prozessen, zum Beispiel fehlendes Vier-Augen-Prinzip bei der Freigabe von Software
- Haltung in einigen Bereichen des Unternehmens, Regelverstöße zu tolerieren
In dieser Gemengelage fanden es die verantwortlichen Motorentwickler offenbar einfacher, die Schwierigkeiten, die der EA 189 mit den amerikanischen Abgasgesetzen hatte, durch ein „Defeat Device“ zu lösen. Auch als später eine verbesserte Abgasreinigung bereitstand, blieb die Software aus „falsch verstandenem Kundeninteresse“ (Müller) weiter in Benutzung.
Es ist allerdings zweifelhaft, dass ausschließlich Entwickler auf Arbeitsebene von der Schummelei wussten. Schließlich war die Dieseleinführung auf dem amerikanischen Markt eine strategische Entscheidung des Volkswagen-Konzerns; Bedrohungen für diese Strategie müssten eigentlich in höheren Gremien diskutiert worden sein. Derzeit sind immerhin neun möglicherweise Beteiligte aus dem Management im Zuge der Ermittlungen freigestellt worden, sagte Aufsichtsratschef Pötsch in Wolfsburg. Insgesamt stehen rund 2.000 Personen im Konzern und eine Datenmenge von über 100 Terabyte im Fokus der rund 450 externen und internen Ermittler.
Während die interne Revision auf die Prüfung der Prozesse, auf Berichts- und Kontrollsysteme sowie die begleitende Infrastruktur angesetzt ist, soll die Anwaltssozietät Jones Day den eigentlichen Sachverhalt und die Verantwortlichkeiten aufklären – unter anderem mit forensischen Untersuchungen. Dies wird noch bis weit ins nächste Jahr hinein dauern.
Noch keine Lösung für die amerikanischen Kunden
Aufgrund deutlich strengerer Stickoxid-Grenzwerte ist es in den USA eine größere technische Herausforderung, die Fahrzeuge so umzurüsten, dass mit ein- und derselben Abgasstrategie alle gültigen Emissionsgrenzen eingehalten werden. Noch ist den Entwicklern dazu keine Lösung eingefallen. Wenn es so weit ist, müssen die technischen Maßnahmen zuerst mit den Umweltbehörden EPA (United States Environmental Protection Agency) und CARB (California Air Resources Board) abgestimmt werden.
CO2-Skandal: Nur heiße Luft?
Der Verdacht von Unregelmäßigkeiten bei der CO2-Zertifizierung hat sich laut VW-Angaben nicht erhärtet. Aufgekommen war der Verdacht nach internen Hinweisen von Mitarbeitern, die laut VW „nicht sicher waren, ob bei Messungen alles mit rechten Dingen zugegangen war“.
Das zeigt: Offensichtlich hat der Großkonzern erhebliche Probleme mit seinen Mess- und Dokumentationsprozessen. Die bei der Pressekonferenz von einem Journalisten gestellte Frage, ob angesichts dieser prozessualen Mängel auch in anderen Konzernbereichen geschummelt worden sein könnte, wollten weder Pötsch noch Müller konkret beantworten.
(ID:43776527)