Weder Young- noch Oldtimer: der Everytimer
Das Auto, das Harald und Michael Käs vorschwebte, gab es nicht. Also bauten es sich Vater und Sohn kurzerhand selbst zusammen. Nebenbei erfanden die beiden gleich noch eine neue Fahrzeuggattung.

Zwischen 5.000 und 6.000 Biersorten gibt es hierzulande. Weltweit schätzt man die Vielfalt auf 10.000 bis 15.000 Varianten. Eine ähnliche Differenzierung hat die Automobilbranche zu bieten. Viele Tausend Modelle hat sie in mehr als 130 Jahren hervorgebracht. „Doch offenbar nicht das Richtige“, ist man geneigt zu sagen, wenn man den Ausführungen von Harald und Michael Käs lauscht und sich ansieht, was Vater und Sohn vor wenigen Wochen auf der Oldtimermesse „Retro Classics“ in Stuttgart erstmals der Weltöffentlichkeit präsentiert haben. ETA heißt die Marke – Everytimer Automobile – und 02 die Sorte, pardon, das Modell.
Ein Fahrzeug aus der großen langen Automobilhistorie gibt es allerdings schon, das es dem Vater-Sohn-Gespann ernsthaft angetan hat – man könnte glatt sagen, dem die Liebe der beiden gilt: den „02“ von BMW. Jene Modellreihe des 1502 bis 2002 Turbo, sozusagen der Urschleim der heutigen BMW-DNA. Jenes Modell, das als direkter Vorfahre der 3er-Reihe den bayerischen Autobauer zu dem gemacht hat, was er heute ist: ein Hersteller hochwertiger und sportlicher sowie technisch anspruchsvoller Fahrzeuge.
In dieses Cabrio, das BMW nur gut drei Jahre, von 1968 bis 1971, produzierte, haben sich die Käs’ verliebt. Schon seit Jahren lässt Vater Harald das hübsche Vollcabrio für Kunden neu auferstehen, nebenbei sozusagen. Denn hauptberuflich ist der Mann aus Bayerisch-Schwaben Elektriker. „Doch bereits seit ich 17 bin, restauriere ich Autos“, erklärt er. Das mit dem Elektriker sei die Schuld der Eltern, die hielten nichts von einer Kfz-Mechaniker-Lehre. „Der Bua soll was G’scheits lernen“, soll Großvater Käs seinerzeit verfügt haben.
Oldies sind schön, aber …
Schön sind sie ohne Zweifel, die 02er-Cabriolets. Doch sie teilen das Schicksal vieler anderer klassischer Fahrzeuge: Erstens sind sie rar und selbst als Ruine meist saftig teuer, zweitens sind sie nach einer Restaurierung in der Regel fast zu schade zum Fahren und drittens sind sie eben Oldtimer. Das heißt, sie sind ein technisch altes Auto: Im Vergleich zu heute nicht zwingend flott, wenig komfortabel und vor allem sicherheitstechnisch vorzeigbar wie saures Bier. Zwar gab es für solche Fälle, also Kunden mit Prioritäten in dieser Richtung, schon immer Lösungen, doch konnten die nur selten bis gar nicht überzeugen.
Nehmen wir die sogenannten Kit-Cars. Deren Hersteller versuch(t)en, ein bekanntes bzw. historisches Modell möglichst eins zu eins zu kopieren, was optisch oft in die Hose ging – man denke nur an Mercedes-SSK- oder Bugatti-Typ35-Replikas auf Käferbasis. Auch technisch war bei diesen Nachbauten oft Hopfen und Malz verloren. Meist bestanden ihre Karosserien nur aus Plastik (GFK), und nicht selten mangelte es an ernsthaft tragenden Strukturen. Kein Wunder, schließlich sollten oder mussten die Modelle möglichst billig zu produzieren bzw. zu verkaufen sein.
Auch der Ansatz manches Oldtimerspezialisten, einen modernen Antrieb in ein altes Fahrzeug zu verpflanzen, war nicht das, was Vater und Sohn Käs vorschwebte. „Wir haben schon mal einen Six-Pack, sprich einen M5-Motor in einen E21 (1. Serie 3er BMW, Anm. d. Redaktion) verpflanzt. Aber das Ergebnis hat uns überhaupt nicht überzeugt“, berichtet der Senior. Das Fahrverhalten eines solchen Oldtimers mit modernem Herz ist nicht selten problematisch – und ein willkommenes ABS-/Antriebsschlupfsystem oder gar einen Airbag vom Organspender mit übernehmen? „Können Sie vergessen!“, lautet das Urteil in Welden, dem Sitz von Everytimer Automobile, in der Nähe von Augsburg – und nicht nur dort. Theoretisch machbar wäre das, ja. Aber praktisch ist solch eine Adaption nicht bezahlbar.
Eigentlich ein ganz normales Auto
Nein, das Käs-Duo wollte ein Auto haben, das optisch an ihre Ikone erinnert, mehr aber auch nicht. Es sollte keine verunglückte Eins-zu-eins-Kopie werden, und vor allem sollte es sämtliche Annehmlichkeiten bieten, über die ein modernes Gefährt nunmal verfügt. Zu allem Überfluss sollte es auch noch bezahlbar sein. Genau das alles leistet der ETA 02, denn er basiert auf einem modernen Ausgangsprodukt, genauer gesagt der BMW-1er-Reihe bzw. dem 1er Cabrio (E87). Und genau das ist der ETA 02.
„Wir verändern weder struktur- noch zulassungstechnisch etwas an dem Wagen. Auch in die Elektronik, sprich in die Datenbussysteme des 1er, greifen wir nicht ein.“ Einzige Ausnahme, wenn man so will, ist die Adaption der Beleuchtung. „Doch sowohl die exklusiv für uns gefertigten Bi-Xenon-Scheinwerfer als auch die Rück- und alle anderen Leuchten sind so eingebunden, dass alles zu 100 Prozent funktioniert, Störungen ausgeschlossen!“, versichert der Vater. Apropos Beleuchtung: Die vorderen Blinker sind das einzige echte „alte“ Teil des ETA 02 – sie stammen vom historischen Vorbild.
„Der Wagen ist nach wie vor ein 1er, und jede BMW-Werkstatt kann wie gewohnt jede Arbeit an ihm ausführen, von solchen an sichtbaren Karosserieteilen einmal abgesehen“, klärt Sohn Michael auf. Genau hierin, und eben nur hierin, unterscheidet sich ihr Auto von der eigentlichen Basis. Bis es allerdings soweit war, brauchte es jede Menge Zeit, Hirnschmalz und Geld – und manch ein Feierabendbier. Denn „mal eben so“ konnten und wollten Vater und Sohn ihre Stilikone nicht ins Hier und Jetzt transformieren. Sämtliche Umbauarbeiten wollten sie auf hohem bzw. höchstem Niveau ausgeführt wissen. Schließlich soll der Wagen „wie aus einem Guss“ wirken und nicht zusammengeschustert.
Genau deshalb verfügt der neue 02 über ein solides Front- und Heckend aus gelaserten Blechsegmenten, die für die entsprechenden Proportionen gemäß dem Vorbild sorgen und die Karosseriepartien aufnehmen. Die bestehen aus GFK – Blechteile wären bei den geringen Stückzahlen kostenmäßig nicht darstellbar. Doch straft die beeindruckende Verarbeitungsqualität all jene Lügen, die bei Glasfaserkomponenten von schludrig hergestellten „Billigteilen“ sprechen. Alles macht einen sehr hochwertigen Eindruck, obwohl es sich bei dem hier gezeigten Fahrzeug noch um ein „Vorserienmodell“ handelt.
Drei Mal in die Lehre gegangen
Hier zahlt sich die Schule aus, die Sohn Michael in Sachen Automobiltechnik absolvierte. Nach einer Lehre als Kfz-Mechatroniker – selbstverständlich bei BMW – folgte bereits mit 19 Jahren der Meister. Anschließend ging‘s zu Porsche-Guru Ruf. „Da habe ich im Karosseriebau dann meine zweite Lehre gemacht“, erzählt Michael Käs. Die umfasste nicht nur den handwerklichen Umgang mit verschiedensten Materialien, sondern auch die Bereiche Planung und Konstruktion – Stichwort CAD. Als wäre das noch nicht genug, setzte er dann beim BMW-Tuning-Gott Alpina seine, Zitat, „dritte Lehre“ obendrauf. Dieses Mal in Sachen Motorenbau.
Derart qualifiziert und motiviert gingen Vater und Sohn vor fünf Jahren ihr Projekt „neuer 02“ an – stets nach Feierabend, versteht sich. Eigentlich sollte es eine Limousine werden. Doch dafür waren die zulassungstechnischen Herausforderungen ungleich höher. Und ein Cabrio ist sowieso viel schöner, oder?
Woraus das Autobauerduo keinen Hehl macht: Neben den eigenen Talenten waren es auch die eines professionellen Entwicklungsdienstleisters, die dafür sorgten, dass der ETA 02 derart solide und wertig daherkommt. Die Komponenten fertigt ein Unternehmen, das unter anderem für Tuninggrößen wie Abt tätig ist.
Ebenso verpflichtend wie das Reinheitsgebot: Von Anfang an banden die Käs‘ eine bekannte Einrichtung mit ebenfalls drei Buchstaben in ihr Projekt ein. Denn selbst wenn die Struktur des 1er BMW erhalten bleibt: Was passiert in Sachen passive Sicherheit, Stichwort Fußgängerschutz, bei einer völlig veränderten Front? Eben! Beim Everytimer erfüllen berechnete Crashtests entsprechende Vorschriften. Diese und alle anderen Eigenschaften machen ihn zu einem ganz besonderen Wagen. Sicher zu einem, der nicht jedermanns Geschmack ist. Denn das ist wie bei einem Weizen: Dem einem schmeckt‘s, der andere trinkt „echtes“ Bier.
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