Deutscher Autorechtstag 2023 Juristen befassen sich mit Diesel-Urteil
Das seit einem Jahr geltende Gewährleistungsrecht wird im Autohandel noch nicht überall beachtet. Auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Thermofenster fand beim Deutschen Autorechtstag seine erste Bewertung durch die Juristen.

Der Automobilhandel steckt mitten im Umbruch. Neue Vertriebsmodelle verlangen nach einer Modernisierung einschlägiger gesetzlicher Grundlagen, pandemie- und kriegsbedingte Störungen im Lieferprozess hingegen nach pragmatischen und dennoch rechtlich wohldurchdachten (Adhoc-) Lösungen.
Hinzu kommen die nach wie vor anhaltenden Schwierigkeiten im Umgang mit dem neuen Gewährleistungsrecht. Mit diesen und weiteren Themen beschäftigte sich der Deutsche Autorechtstag am 20. und 21. März auf dem Petersberg bei Königswinter.
Neben Informationen zu aktuellen Rechtsprechungen nahmen die Juristen auch zum während der Tagung ergangenen EuGH-Diesel-Urteil Stellung. Nicht erst bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, sondern bereits bei einfacher Fahrlässigkeit besteht danach ein Anspruch auf Schadenersatz gegen den Hersteller von Dieselautos mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Der Präsident des Deutschen Autorechtstags, Dr. Angsgar Staudinger, nahm gleich eine erste Bewertung des langersehnten Urteils vor.
Auf dem Podium standen an beiden Tagen hochkarätige Referentinnen und Referenten, die sich mit den für die Automobilbranche relevanten Rechtsthemen befassten. So gab Rechtsanwalt Marcus Gülpen ein Update zur Schadensregulierung, zum Versicherungsrecht und zu Verkehrsstraf- und Ordnungswidrigkeitenrecht.
Zu Urteilen zu „Rasern“, Promille-Grenzen beim Fahren von E-Scootern sowie zum Strafmaß bei tödlichen Verkehrsunfällen sprach anschließend Dr. Matthias Quarch, Vorsitzender Richter beim LG Aachen.
Aktuelles aus Gesetzgebung und Rechtsprechung
Mit einem Überblick über die jüngsten Entscheidungen und Gesetzesänderungen des zurückliegenden Jahres begrüßte Prof. Dr. Ansgar Staudinger die Teilnehmer. Dem neuen Gewährleistungsrecht räumte er besonderen Raum ein: Es sei vielfach noch nicht umfassend in der Praxis angekommen, obwohl es bereits seit Januar 2022 zu beachten sei. Dies führe in vielen Fällen mangels unwirksamer Verkürzung der Verjährungsfrist zu einem Rückfall auf eine zweijährige Frist und berge darüber hinaus Abmahnrisiken.
Neue Kfz-GVO
Den wesentlichen EU-Verordnungen zur Regelung des kartellrechtlichen Rahmens im Automobilsektor, nämlich der Kfz-GVO wie auch der Vertikal-GVO, widmete sich Prof. Dr. Markus Artz. Während die aktualisierte Vertikal-GVO seit Inkrafttreten 2022 das Verhältnis der Vertriebsstufen untereinander sowie jeweils zum Hersteller regele und die sich ausweitenden Agentur- und Direktvertriebssysteme in den Fokus rücke, soll die Kfz-GVO weitestgehend unverändert fortbestehen bleiben; lediglich ihre Leitlinien sollen einer „Frischzellenkur“ unterzogen werden, so Artz.
Widerrufsrecht bei der Fahrzeugfinanzierung
Rechtsanwältin Dr. Uta Sophie Richter stellte aktuelle Entscheidungen des BGH und des EuGH zu den Pflichtangaben in Verbraucherdarlehensverträgen und zum Widerrufsrecht bei der Fahrzeugfinanzierung vor. Eingehend erläuterte sie die aktuellen Fragestellungen zur rechtlichen Einordnung von Kilometer-Leasingverträgen, die im Autohaus angebahnt werden, anhand der aktuellen Rechtsprechung und der Schlussanträge des EuGH-Generalanwalts in laufenden Verfahren vor dem EuGH.
Podiumsdiskussion zum Gewährleistungsrecht
Das Gewährleistungsrecht bewerteten die Vertreter der Händlerverbände sehr unterschiedlich. Während ZDK-Geschäftsführer Ulrich Dilchert dem verschärften Gewährleistungsrecht eine Verbesserung der Sicherheit auf Verbraucher- wie auch auf Händlerseite zusprach, kritisierte es BVfK-Vorstand Ansgar Klein.
Die neue Rechtslage – insbesondere in Verbindung mit einer missverständlichen öffentlichen Bewertung zu einer überzogenen Haltbarkeitserwartung – führe dazu, dass preiswerte Gebrauchtwagen zunehmend im Handel fehlten und bald nur noch auf dem Privatmarkt zu finden seien, so Klein. Dort würden die Fahrzeuge dann ganz ohne die Beachtung der Verbraucherrechte mit Gewährleistungsausschluss verkauft.
EuGH-Urteil: Schadensersatz für getäuschte Besitzer leichter möglich
Mit großer Spannung wurde die Bewertung zu dem gerade verkündeten Urteil des EuGH zum Thermofenster erwartet. Die Richter hatten am Veranstaltungstag entschieden, dass Käufer eines Dieselautos mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung Schadenersatz vom Hersteller verlangen können. Ein solcher Anspruch gegen den Hersteller bestehe nicht erst bei vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, sondern bereits bei einfacher Fahrlässigkeit (Urteil vom 21.3.2023, Az.: C-100/21).
Autorechtstags-Präsident Prof. Dr. Staudinger betonte, der Entscheid sei Anlass, zukünftig gerade beim BGH in Karlsruhe nicht allzu schnell von einem „acte-clair“ auszugehen und demzufolge von Vorlagen abzusehen. Zudem müsse abgewartet werden, wie die deutsche Justiz die verbleibenden Spielräume etwa bei der Bezifferung der Schadenshöhe auslote.
Allerdings sei dem Präventionsgedanken und dem Gebot einer hinreichend effektiven Sanktion ausreichend Rechnung zu tragen, erläuterte Staudinger. Klargestellt sei überdies, dass eine Haftung der Hersteller selbst bei einfacher Fahrlässigkeit im Ausgangspunkt wegen des Verstoßes gegen ein „Europäisches Schutzgesetz“ im Zusammenspiel mit § 823 Abs. 2 BGB in Betracht komme, so Staudinger.
Der Deutsche Autorechtstag wird gemeinsam von ADAC, BVfK und ZDK und Prof. Dr. Ansgar Staudinger, Rechtsanwalt Dr. Kurt Reinking und dem Vors. Richter am BGH a.D. Wolfgang Ball veranstaltet.
Save the date: Der 17. Deutsche Autorechtstag findet vom 17. bis 19. März 2024 auf dem Petersberg statt.
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