Tachomanipulation - Ein wachsendes Problem

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Als nächstes begannen die Hersteller, den Kilometerstand in Prozessoren (Rechenbausteinen) zu archivieren, die sich nicht nur in einem, sondern in mehreren im Fahrzeug verteilten Steuergeräten befanden. Der Fachmann spricht von der redundanten Protokollierung der Wegstrecke. Die Ultima Ratio in Sachen Sicherheit? Mitnichten! Auch hier hat die Realität sehr schnell gezeigt: Dank CAN-Bus-Vernetzung ist kein Auto vor Manipulation sicher. Das beweisen die einschlägigen Webseiten der Anbieter (siehe Abbildung S. 16), die eine Tachojustierung als Dienstleistung feilbieten. Hier findet man nahezu jedes Fahrzeug inklusive Preisangebot – Anruf genügt. Da verlieren Aussagen wie die von Peugeot „Eine elektronische Manipulation der Tachometer bei aktuellen Modellen mit CAN-Bus-System ist nicht möglich“, in Sekunden ihre Glaubwürdigkeit.

Sie hören auf Namen wie „Diga Consult“, „Digiprog“ oder „Diagprog“. Zu kaufen gibt es die Tachojustiergeräte – Internet sei Dank – mittlerweile an jeder Ecke. Trotz Preisen zwischen 7.500 und 10.000 Euro amortisieren sie sich schnell. Ihre Bedienung? Vielfach ein Kinderspiel. „Wer einen Kuchen backen kann, kann heutzutage fast jeden Kilometerstand verändern. Das je nach Fahrzeugmodell benötigte ‚Rezept‘, sprich die exakte Vorgehensweise, liefern die Geräteanbieter gratis mit dazu“, erklärt ein Kenner der Materie. Und neue Fahrzeuge, die noch nicht in den offiziellen Angebotslisten der Tachodienstleister auftauchen, werden anfangs zu höheren Preisen direkt beim Hersteller der Tachogeräte manipuliert. „Dann wird binnen weniger Tage die dafür nötige Software in das Justiergerät implementiert und als Update verkauft“, so die bittere Erkenntnis eines Insiders.

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„Jeder technologische Vorsprung wird von Kriminellen immer wieder aufgeholt. Entweder durch modernere Angriffswerkzeuge oder neue, bis dahin unbekannte Sicherheitslücken“, erklärt Volkswagen und verkennt, dass die „Bösen“ den Wissensvorsprung der „Guten“, anders als in anderen Branchen – etwa bei Kreditkarten –, hierbei wesentlich schneller einholen. Dennoch ist Europas größter Autohersteller der Ansicht, dass Tachomanipulation heute schwerer fällt als einst. Es bedarf schließlich „professionell agierender Organisationen“ sowie einer „permanenten Nachentwicklung“. Das Problem: Genau das leisten die Anbieter derartiger Geräte und Software, die keineswegs nur in kaukasischen Kellern vermutet werden sollten – einer von ihnen sitzt unweit der VW-Stadt!

Das stimmt nachdenklich und mag das große Schweigen erklären, das oft die einzige Reaktion auf die Anfragen von »kfz-betrieb« bei den Fahrzeugherstellern war. Weil eben „nicht sein kann, was nicht sein darf“. Keine Reaktion von Opel, Audi, Ford, Mazda, Toyota, Fiat, Citroën und Co. Immerhin baten Kia und Renault um Verständnis, dass man „keine Angaben machen“ bzw. „Fragen nicht beantworten“ werde. Offenkundig interessiert die meisten das Thema nicht. Warum auch? Den Schaden haben schließlich andere.

Auch ein großer deutscher Automobil-Garantieversicherer wollte sich zu der Sache nicht äußern – schade und bezeichnend zugleich. Und Lexus überraschte gar mit der Antwort, dass man sich in Sachen Wegstreckenanzeige „an allgemeine Standards der Automobilindustrie halte“. Stellt sich nur die Frage, wie ein Standard von nichts aussieht. Denn eine Kilometeranzeige ist laut StVZO – im Gegensatz zum Tacho – in Deutschland nicht einmal vorgeschrieben!

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Doch wer dreht nun eigentlich an der „Uhr“? „Tachobetrug geht schnell und einfach, ist kaum aufzudecken. Das kann prinzipiell jeden in Versuchung führen, der mit dem Verkauf eines gebrauchten Autos zu tun hat – egal ob Halter oder Händler“, gibt Manfred Groß von der ADAC-Fahrzeugtechnik zu bedenken. „Ein Motiv ist auch die Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile, wenn vereinbarte Fahrstrecken überschritten wurden, z. B. bei Leasingfahrzeugen. Zum Teil sind auch Steuerhinterziehung und Betrug bei Sozialabgaben die Triebfeder, wenn Personalkosten über Fahrleistungen abgerechnet werden“, führt Jörg Ahlgrimm, Leiter Analytische Gutachten bei Dekra, als Beweggründe an. Mit anderen Worten: Jeder, der am großen Kreislauf Automobilnutzung und -handel teilnimmt, kann beides sein: Opfer wie Täter.

Eigentlich müsste alles kein Thema sein. Der Gesetzgeber hatte 2005 auf Initiative des ADAC das Übel an der Wurzel gepackt und im Rahmen des § 22b des Straßenverkehrsgesetz STVG nicht nur die direkte Beeinflussung von Wegstreckenzählern, sondern auch den Vertrieb, die Bereithaltung und die Weitergabe entsprechender Manipulationsgeräte bzw. Computerprogramme als Straftatbestand deklariert – eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe droht seitdem.

Seite 3: Das Problem des Nachweises

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