Verbrauchsnorm WLTP: Wenn die Wahrheit weh tut
Der neue WLTP-Test soll endlich realitätsnahe Verbrauchswerte produzieren. Der Verbrauch wird auf dem Papier deutlich ansteigen. Die Ergebnisse dürften ein Schock für viele Autofahrer sein – erst recht ab dem September 2018.
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„Was verbraucht er denn?“ „Laut Prospekt oder auf der Straße?“ – Beim Kraftstoffverbrauch eines Fahrzeugs gab es bisher zwei Werte, die oft weit voneinander entfernt waren. Seit dem 1. September gilt nun der Fahrzyklus WLTP (Worldwide harmonized Light Vehicle Test Procedure) für neue Fahrzeugtypen, ab September 2018 gilt das überarbeitete Regelwerk dann für alle Pkw. Der WLTP soll die bisherige „Verbrauchslücke“ deutlich verkleinern. Der ganz große Jubel über die ungewohnte Transparenz dürfte allerdings ausbleiben, denn die „neuen“ Verbrauchswerte steigen voraussichtlich um bis zu 20 Prozent im Vergleich zu den früheren NEFZ-Angaben. Und spätestens, wenn ab September 2018 nach dem dann deutlich realistischeren CO2-Ausstoß besteuert wird, dürfte die Begeisterung vorbei sein.
Grundlage für die Besteuerung sind die neu ermittelten, teils deutlich höheren WLTP-Verbrauchswerte, die mit Hilfe von „realistischen Fahrerprofilen“ ermittelt werden sollen. Steigt der Verbrauch des gleichen Fahrzeugs nach Änderung der Norm um 10, 20 oder mehr Prozent, dann muss der Besitzer um genau so viel mehr Kfz-Steuer bezahlen. Jedes Gramm über dem Grenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer kostet zwei Euro. Spätestens dann wird es für Kunden schon bei der Konfiguration eines Neuwagens interessant: Wie viel mehr im Unterhalt, also in Steuern, kosten die 19-Zoll-Räder? Kann ich mit einem Bodykit aerodynamisch den Nachteil der größeren und breiteren Räder ausgleichen?
Mal eben mit dem Taschenrechner lässt sich diese Berechnung nicht anstellen. Deshalb hat Volkswagen eine eigene IT-Struktur entwickelt, auf die die Konfiguratoren zugreifen und die es erlaubt, schon beim Zusammenstellen des Fahrzeugs seine steuerlichen Folgekosten darzustellen – und Alternativen anzubieten: etwa Leichtlaufreifen, wenn zuvor ein schweres Schiebedach geordert wurde; Stichwort: CO2-optimierte Ausstattungspakete. In Ländern wie Dänemark, die basierend auf dem CO2-Ausstoß eine Luxussteuer erheben, kann die neue Berechnung für die eine oder andere Zusatzausstattung „Haken ja“ oder „Haken nein“ im Kaufvertrag bedeuten.
Für den Automobilhersteller wirkt sich die Besteuerung beim Kunden unter Umständen auf die interne Logistik aus. Gab es bisher zum Beispiel einen Engpass beim 15-Zoll-Rad eines Modells, konnte es passieren, dass der Käufer ein schneller verfügbares 17-Zoll-Rad bekam – ohne Aufpreis. Ab September 2018 bedeutet dieses „Upgrade“ aber möglicherweise eine höhere Kfz-Steuer für den Kunden. Doch damit nicht genug: Der nächste Entwicklungsschritt bei WLTP folgt im Jahr 2019, dann fließt auch die Nutzung der Klimaanlage in die Berechnungen ein. Das wird die Steuer noch einmal erhöhen.
Neue Techniken berücksichtigt der WLTP ebenfalls: Bei Plug-in-Hybriden und reinen Elektrofahrzeugen erfasst der Test 20 beziehungsweise 12 Werte. Das Flottenziel für das Jahr 2020 von 95 Gramm CO2 pro Kilometer steht natürlich weiterhin, obwohl es basierend auf dem NEFZ beschlossen wurde. Um hier keine versteckte Verschärfung einzuführen, wird mittels eines Korrekturfaktors von WLTP-Messwerten in NEFZ-Werte zurückgerechnet.
Realistischeres Fahrprofil
Das Fahrprofil im WLTP basiert auf realen Fahrdaten, die in 14 Ländern erhoben wurden und stellt deren Durchschnitt dar. Neu ist, dass nicht mehr nur ein Standard-Fahrzeugmodell getestet wird, sondern alle Motor-Getriebe-Kombinationen, mit denen das Modell erhältlich ist. War der NEFZ (Neuer Europäischer Fahrzyklus) eher starr, berücksichtigt der WLTP mehr Optionen: Gangwechsel werden zum Beispiel individuell berechnet, die Ausstattung des Fahrzeuges und somit die Aerodynamik, der Reifenrollwiderstand und das Fahrzeuggewicht – also kundenindividuelle Optionen – fließen in die Bewertung ein. Zudem ist die gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit höher.
Dabei geben ein Fahrzeug mit „dem besten“ und eines mit „dem schlechtesten“ Wert den Rahmen vor, hinzukommende Sonderausstattungen lassen sich dann interpolieren, also hochrechnen. Also doch wieder Augenwischerei? – Nein! Der Grund für die Berechnung liegt in der hohen Vielfalt, mit der sich ein Fahrzeug zusammenstellen lässt – mehrere tausend unterschiedliche Varianten sind je nach Fahrzeughersteller durchaus möglich.
WLTP-Test wesentlich aufwendiger
Der zu fahrende Zyklus auf dem Rollenprüfstand beginnt mit kaltem Motor, dauert 30 Minuten, geht über rund 23 Kilometer und besteht aus vier Abschnitten: eine simulierte Stadtfahrt, eine Fahrt Überland und eine Autobahnstrecke mit zwei Geschwindigkeiten – 56,5 km/h, 76,6 km/h, 97,4 km/h und 131,3 km/h sind die Grenzwerte. Die Grundausrüstung besteht aus dem leeren Fahrzeug, einem menschlichen Fahrer und 15 Prozent der erlaubten Zuladung. „Der menschliche Fahrer während des Prüfstandtests ist gesetzlich vorgeschrieben“, erläuterte ein VW-Ingenieur, „schließlich fahren mit den Autos auf der Straße ja auch Menschen.“
Der vierte Anteil mit rund 131 km/h ist nicht in allen Ländern verpflichtend, weil zum Beispiel Japan die Höchstgeschwindigkeit gesetzlich auf 100 km/h begrenzt – und ein Test mit 131 km/h nicht realistisch wäre. Alle Szenarien finden bei jeweils 23 Grad Celsius statt, in Europa zusätzlich bei 14 Grad Celsius. Dazu müssen die Fahrzeuge zwölf Stunden bei 23 Grad konditioniert werden und rund neun Stunden bei 14 Grad, ehe der Test beginnen darf. Logistisch ist das herausfordernd: Volkswagen betreibt am Standort Wolfsburg deshalb ein Testzentrum mit 250 Fahrzeug-Stellplätzen, 235 Konditionier-Plätzen und 21 klimaregulierbaren Rollenprüfständen für Front- und Allradfahrzeuge. „Der Aufwand für die Tests nach WLTP liegt etwa um das 2,4-fache höher als nach NEFZ“, beschreibt ein Ingenieur im Abgaszentrum des Herstellers.
Und dieser Aufwand kostet Geld: Mit rund fünf Millionen Euro schlägt allein ein Prüfstand zu Buche. Der Transport der Fahrzeuge erfolgt mit einer Art Hubwagen, sodass der Motor des Testwagens tatsächlich erst auf dem Prüfstand gestartet wird. Rund 250 Tests führt Volkswagen in Wolfsburg aktuell durch, ein Test kostet etwa 2.000 Euro.
Nicht nur die Hersteller werden die Umstellung finanziell spüren. Auch bei den Verbrauchern wird sich die neue WLTP-Norm im Geldbeutel bemerkbar machen, die dann als Besteuerungsgrundlage herhalten wird. Das Bundesfinanzministerium hat erst vor Kurzem dazu nüchtern festgestellt: „Tarifänderungen am Steuersatz für CO2 sind nicht vorgesehen.“ Der einzige Trost: Real werden die Autos auch nicht mehr verbrauchen als ein paar Stunden vor dem 1. September 2018.
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