„Wasserstoff wird im Pkw-Bereich nicht fliegen“
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Welcher ist der richtige Antrieb für die Zukunft? Beim Ifa-Kongress in Nürtingen waren sich mehrere Mobilitäts-Experten einig, dass es dafür nur eine Antwort gibt. Sie forderten von der Autobranche, die Diskussionen einzustellen und stattdessen neue Chancen anzupacken. Denn die gebe es – auch für den Handel.

Gefühlt überboten sich deutsche Autohersteller und -zulieferer in den letzten Wochen mit ihren Ankündigungen, wie viele Stellen sie abbauen wollen. Daimler, Continental, MAN – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Als Gründe nennen die Betroffenen immer wieder die Umwälzungen in der Branche. Aber auch Krisen wie Corona und Handelskonflikte machen sie für die Sparmaßnahmen verantwortlich.
Professor Andreas Knie lässt das nicht gelten. Er forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) an digitaler Mobilität. Seine Meinung zur Auto-Krise schilderte er am Mittwoch beim Ifa-Branchengipfel in Nürtingen. „Die deutsche Autoindustrie hat alle Trends verpasst“, sagte Knie. Elektromobilität, Digitalisierung, autonomes Fahren – in sämtlichen Bereichen seien andere weiter, bilanziert der Wissenschaftler. „Versuchen sie mal in einem Autohaus ein deutsches Elektroauto zu kaufen. Es ist kaum eines verfügbar. Das kann es nicht sein“, kritisierte Knie.
Das Hauptproblem sieht er in der Ausrichtung der Konzerne. „Ich glaube, dass die Automobilindustrie viele Dinge kann, sich aber zu wenig traut. Sie zieht ihre gesamte Philosophie aus der Vergangenheit.“
„Sales-Push-Modell hat sich zu Tode gelaufen“
Philipp Grosse Kleimann von Siemens Advanta Consulting pflichtete ihm bei: „Das klassische Sales-Push-Modell der Automobilhersteller hat sich ein Stück weit zu Tode gelaufen“, sagte er. Stattdessen sei mehr und mehr ein intermodales Nutzungserlebnis gefragt.
Grosse Kleimann zeigte sich beispielsweise überzeugt, dass Auto-Abos bereits in den kommenden zehn Jahren den klassischen Autokauf als gefragteste Form im Fahrzeugvertrieb ablösen werden. Der Berater erwartet einen Wandel in vier Stufen. Aktuell setzten sich zunehmend Smart Cars durch. Der nächste Schritt werde dann der zu Car-as-a-Service-Angeboten wie eben Abos und Co. sein. Darauf dürfte dann aus Sicht Grosse Kleimanns die Stufe Mobility-as-a-Service folgen. In dem Zusammenhang sollen Kunden dann pro Fahrt bezahlen und kaum noch Autos als Privatobjekt betrachten. Dabei sieht der Siemens-Mann auch Chancen für den Handel. „Händler können sich als gute Service-Provider positionieren“, so Grosse Kleimann. Die vorläufige Endstufe sei dann das Modell Vehicle-as-a-plattform, bei dem sich vollautonome Fahrzeuge durchgesetzt haben.
Die Autobranche müsse aufgrund der Entwicklungen folgenden Dreiklang angehen, empfahl Philipp Grosse Kleimann:
- Fokus auf Kundennutzen
- Fokus auf neue Geschäftsmodelle
- Fokus auf agile Umsetzung
Dass gerade die Industrie dazu in der Lage ist, bezweifelt Andreas Knie. Ihre Strukturen seien dafür nicht geschaffen. „Riesenkonzerne sind aus meiner Sicht nicht die Unternehmensform der Zukunft.“
„Der Pkw-Bereich wird zu 100 Prozent elektrifiziert“
Auch bei den Antriebsstrategien der deutschen Automobilhersteller hat der Forscher eine gewisse Trägheit ausgemacht. „Auf keiner internationalen Mobilitätskonferenz wird noch über Antriebe diskutiert. Das gibt es nur bei uns“, echauffierte sich Knie. Mittlerweile sei längst klar, dass batterieelektrische Fahrzeuge im Pkw-Bereich die beste Lösung für die nächsten Jahre seien.
Den häufigen Rufen nach mit Wasserstoff betriebenen Autos erteilte Michael Hajesch, Chef des Ladenetzbetreibers Ionity, eine Absage. „Wasserstoff wird im Pkw-Bereich nicht fliegen“, sagte er. Dafür habe die Technologie gegenüber Strom zu viele Nachteile. Elektromobilität sei die einzige Form, bei der Kunden sowohl zuhause als auch an öffentlich zugänglich Punkten ihr Fahrzeug mit Energie versorgen könnten. Im Transportsektor sei das Rennen zwar noch offen. „Aber ich bin überzeugt: Der Pkw-Bereich wird zu 100 Prozent elektrifiziert“, erklärte Hajesch.
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