AVAG übernimmt Betriebe der Wiesenthal-Gruppe in Österreich

Autor Dr. Dominik Faust

Über ein halbes Jahrhundert lang beherrschten die Firmengruppen Pappas und Wiesenthal in weiten Teilen den österreichischen Mercedes-Markt. Jetzt ist das ältere der beiden Unternehmen ins Trudeln geraten. Rettung kommt von der AVAG, die erstmals Mercedes-Händler wird.

Die AVAG Holding übernimmt Wiesenthal in Österreich.
Die AVAG Holding übernimmt Wiesenthal in Österreich.
(Bild: Faust / »kfz-betrieb«)

Die Mercedes-Handelsgruppe Wiesenthal aus Wien verkauft 8 ihrer 16 österreichischen Standorte an die Augsburger AVAG. Das bestätigte das bayerische Unternehmen am Donnerstag auf Anfrage von »kfz-betrieb«. Über den Kaufpreis haben die Beteiligten Stillschweigen vereinbart. Die Teilübernahme kommt zur rechten Zeit, denn der älteste Mercedes-Benz-Importeur Österreichs ist in seinem Heimatmarkt in unruhiges Fahrwasser geraten. Die Schuldenlast der Wiesenthal-Gruppe beträgt nach Medieninformationen 217 Millionen Euro, das Eigenkapital wird auf rund 132 Millionen Euro beziffert. Die Aktivitäten des Händlers in anderen europäischen Ländern sollen allerdings besser laufen.

Mit dem Kauf steigt die AVAG in den Premiummarkt ein und wird erstmals Mercedes-Händler. Folgende Karte zeigt, welche Betriebe an die AVAG gehen und damit den Namen Wiesenthal verlieren:

Nach AVAG-Angaben ist der Vertrag bereits unterzeichnet. „Die Verhandlungen fanden in einer harmonischen Atmosphäre statt, so dass wir uns schnell einig waren“, sagte Vorstandssprecher Albert C. Still. Die Partner haben jedoch eine Frist von vier Monaten bis zum Closing vereinbart, also bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Eigentum an den acht Betrieben tatsächlich an die AVAG übergeht. Zum 1. Mai 2018 sollen dann auch alle Mitarbeiter übernommen werden: „Gerade weil die Marke für uns neu ist, brauchen wir die Erfahrung des bewährten Wiesenthal-Teams“ sagte Albert C. Still. Die Zahl der AVAG-Beschäftigten wird damit auf über 5.000 steigen.

Die AVAG ist bereits an 56 Autohäusern mit 172 Standorten in Deutschland, Österreich, Kroatien, Polen, Ungarn, Serbien und Slowenien beteiligt. Mit ihrer Tochter AV International verfügt sie in Österreich über ein starkes Standbein. Sie betreibt dort 19 Autohandels-Standorte. Allerdings verkauft sie bislang nur die Volumenmarken Ford, Kia und Peugeot in Wien sowie Nissan in Salzburg. Insgesamt verkaufte die AVAG zuletzt 122.000 Fahrzeuge pro Jahr.

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Mercedes-Vertrieb in Österreich über 7 Händler und 120 Agenturen

Neben betriebswirtschaftlichen gab es auch andere Gründe für den Teilverkauf von Wiesenthal. Dazu muss man wissen, dass die Daimler AG in Österreich ein zweistufiges Vertriebssystem unterhält. Auf der ersten Ebene agieren rund sieben Händler oder Handelsgruppen. Die beiden größten waren bisher Pappas in Mittel- und Westösterreich sowie Wiesenthal im Osten. Sie haben in der Alpenrepublik einen Mercedes-Benz-Marktanteil von über 80 Prozent. Auf der zweiten Ebene sind den Händlern rund 120 so genannte Partnerbetriebe bzw. Agenturen zugeordnet, die ihre Neuwagen über die Handelsgruppen beziehen. Über allem steuert die Mercedes-Benz Österreich GmbH (MBÖ) den Import aller Modelle. An die Wiesenthal-Gruppe waren bis letzte Woche elf Partnerbetriebe bzw. Agenturen in Niederösterreich und im Burgenland angedockt. Aus den genannten Gründen hat die MBÖ darauf hingewirkt, diese Betriebe direkt an sich zu binden. Wie ein Sprecher gegenüber »kfz-betrieb« sagte, baue die Importgesellschaft dazu bereits ein eigenes Sales-Team auf, das sukzessive wachsen soll.

Die Teilübernahme von Wiesenthal durch die AVAG kommt der Daimler AG nicht ganz ungelegen. Denn die Konzentration des Vertriebs auf zwei große Händlergruppen schwächt jeden Hersteller oder Importeur. Einem Bericht der Zeitung „Kurier“ zufolge, war es daher bereits seit längerem Ziel der Stuttgarter, im Geschäftsgebiet von Wiesenthal einen weiteren großen Händler zu etablieren. Ob dieses Ziel mit der AVAG und mit der MBÖ als neuen Playern im ostösterreichischen Handel erreicht wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist, dass auch in der neuen Konstellation die Pappas-Gruppe mit einem österreichweiten Marktanteil von über 60 Prozent weiterhin Marktführerin bleibt. Sie unterhält dort 24 Standorte und kooperiert mit etwa genauso vielen Partnerbetrieben.

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Gemeinsame Geschichte von Wiesenthal und Pappas

Ironie der Geschichte: Die beiden Familien Wiesenthal und Pappas waren die Pioniere des Mercedes-Benz-Vertriebs in Österreich und Paten der MBÖ. So hatte Günther Wiesenthal bereits 1924 Anteile an der Mercedes-Benz-Vertretung in Wien erworben. 1951 lernte er Georg Pappas kennen. Fortan gestalteten sie maßgeblich die österreichische Mercedes-Benz-Organisation: Wiesenthal gründete 1955 die Vorgängergesellschaft der MBÖ in Salzburg und gewann Georg Pappas als Mitarbeiter. 1957 baute dieser die Niederlassung in Salzburg und zwei Jahre später in Wien auf. 1960 gründete Wiesenthal das Stammhaus seiner Handelsgruppe in Wien. Im gleichen Jahr starb er und vermachte die Hälfte der MBÖ-Vorgängergesellschaft inklusive Geschäftsführerposition an seinen langjährigen Weggefährten Georg Pappas. 57 Jahre später hat sich Pappas zu einem wirtschaftlich stabilen Marktführer entwickelt, während Wiesenthal in Österreich strauchelt und jetzt von einer deutschen Handelsgruppe gerettet werden muss.

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