Abgas-Affäre BGH stärkt Diesel-Klägern in Verjährungsfragen den Rücken
Nach einem aktuellen BGH-Urteil darf ein Gericht nicht einfach voraussetzen, dass alle Verbraucher bereits von Beginn an über das Diesel-Thema informiert gewesen sind. Niemand sei zu Medienkonsum verpflichtet, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters am Donnerstag in Karlsruhe.

In der Diesel-Affäre bei Volkswagen stärkt der Bundesgerichtshof (BGH) Klägern den Rücken, deren Schadenersatz-Ansprüche durch Verjährung bedroht sind. Die Karlsruher Richter entschieden am Donnerstag, dass Gerichte betroffenen Autokäufern nicht allein wegen der breiten Medienberichterstattung damals unterstellen dürfen, sie hätten noch im Jahr 2015 von den Vorgängen bei Volkswagen erfahren. Außerdem erklärten sie es für legitim, sich nur deshalb zeitweise zu einer Musterfeststellungsklage anzumelden, damit man mehr Zeit für die Vorbereitung einer eigenen Schadenersatz-Klage hat (Az. VI ZR 1118/20).
Dass Millionen Diesel von Volkswagen mit Prüfstandserkennung unterwegs waren, um nur scheinbar die Grenzwerte für Schadstoffe einzuhalten, war im September 2015 ans Licht gekommen. Der Wolfsburger Autobauer hatte seine Aktionäre und die Öffentlichkeit erstmals am 22. September informiert. Danach beherrschte der Skandal über Wochen die Titelseiten der Zeitungen und Nachrichtensendungen.
VW hatte Anfang Oktober 2015 ein Internetportal eingerichtet, über das Autobesitzer prüfen konnten, ob auch ihr Wagen betroffen ist. Mitte Oktober ordnete das KBA einen Rückruf an.
Nach einem Grundsatz-Urteil des BGH aus dem Mai 2020 haben betroffene Kläger prinzipiell Anspruch auf Schadenersatz von Volkswagen. Schadenersatz-Ansprüche verjähren allerdings nach drei Jahren. Klagen hätten also spätestens Ende 2018 erhoben werden müssen. Unter einer Voraussetzung: dass der Kläger 2015 schon wusste, dass auch sein Auto den EA-189-Motor hat, oder „ohne grobe Fahrlässigkeit“ davon hätte wissen müssen, wie es im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt.
Niemand ist zum Zeitunglesen verpflichtet
Laut dem Wolfsburger Hersteller laufen immer noch ungefähr 20.000 Verfahren, in denen erst 2019 oder noch später geklagt wurde. Und oft ist vor Gericht umstritten, was der Kläger 2015 schon wusste.
So auch in dem Fall aus Sachsen-Anhalt, der jetzt in Karlsruhe entschieden wurde – der Diesel-Käufer hatte erst 2019 geklagt. Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hatte die Klage für verjährt erklärt: Im vierten Quartal 2015 seien alle wesentlichen Informationen an die Öffentlichkeit gelangt.
Nach dem BGH-Urteil hätte das OLG daraus aber nicht einfach folgern dürfen, dass auch der Kläger damals schon von dem Thema wusste. Niemand sei zu Medienkonsum verpflichtet, sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters. Das OLG muss den Fall also nun neu prüfen.
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