AutomobilwirtschaftDirektvertrieb ohne Händler? „Eine Blödsinnsidee“
Christoph Seyerlein
Nach fünf Jahren als Vertriebsvorstand schied Jürgen Stackmann 2020 bei VW aus. Wir haben ihn zum Interview getroffen. Wie er auf seine Zeit in der Industrie zurückblickt und was aus seiner Sicht in Zukunft für Händler wichtig sein wird.
Jürgen Stackmann war insgesamt zehn Jahre lang in verschiedenen Positionen Vorstand im Volkswagen-Konzern.
(Bild: Volkswagen)
Redaktion: Herr Stackmann, erinnern Sie sich noch an den 16. Oktober 2018?
Jürgen Stackmann: Das müsste in etwa die Zeit der Vertragskündigungen bei VW gewesen sein, oder?
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Nach fünf Jahren als Vertriebsvorstand schied Jürgen Stackmann 2020 bei VW aus. Wir haben ihn zum Interview getroffen. Wie er auf seine Zeit in der Industrie zurückblickt und was aus seiner Sicht in Zukunft für Händler wichtig sein wird.
Jürgen Stackmann war insgesamt zehn Jahre lang in verschiedenen Positionen Vorstand im Volkswagen-Konzern.
(Bild: Volkswagen)
Redaktion: Herr Stackmann, erinnern Sie sich noch an den 16. Oktober 2018?
Jürgen Stackmann: Das müsste in etwa die Zeit der Vertragskündigungen bei VW gewesen sein, oder?
Fast. An dem Tag verkündeten Sie gemeinsam mit dem europäischen Händlerverband die Ergebnisse der Verhandlungen um neue Verträge. Unter anderem sagten Sie damals, dass VW künftig weniger auf „große Glaspaläste“ im Handel setzen wolle. Ein Zitat, dass teils sehr negatives Echo aus dem Handelsnetz hervorrief. Wie haben Sie die Reaktionen damals erlebt?
Mit der Kritik konnte ich leben. Ich glaube aber, dass viele meine Aussage falsch verstanden haben. Ich gehöre zu denjenigen, die immer an den stationären und freien Handel geglaubt haben. Ich tue das auch weiterhin. Aber das System muss reformiert werden. Der Fokus des Vertriebs sollte zukünftig nicht weiter auf dem Bau wunderschöner Autohäuser liegen. Markenpräsenz und Erlebnis bleiben wichtig, die Energie und Investitionen müssen aber in Abstimmung zwischen Hersteller und Handel konsequent in Zukunftsfelder gelenkt werden. Dazu sollten sie gemeinsam eine funktionierende Omni-Channel-Präsenz, E-Commerce-Fähigkeiten, überzeugendes Customer-Relationship-Management und Customer-Experience-Management aufbauen. Außerdem braucht es vollen Fokus auf Erlebnis, Bindung, Beratung und Service vor Ort.
Zur Person: Jürgen Stackmann (59)
2015 bis 2020: Vertriebsvorstand VW Pkw
2013 bis 2015: Vorstandsvorsitzender Seat
2010 bis 2013: Vertriebsvorstand Skoda
1989 bis 2010: Verschiedene Führungspositionen bei Ford
Sollte man als Unternehmer also lieber keine neuen Autohäuser mehr bauen?
Sicher werden auch in Zukunft weiter Autohäuser gebaut. Aber ich bin trotzdem nach wie vor davon überzeugt, dass das Prinzip „immer mehr, immer schöner, immer besser“ der Vergangenheit angehört. Das heißt aber nicht, dass es keinen stationären Handel mehr braucht. E-Commerce kann einen funktionierenden Handel nicht ersetzen. Das ist vielmehr eine Erweiterung und Ergänzung des heutigen Systems. Wir müssen die Prozesse stark vereinfachen. Und E-Commerce bietet dabei große Chancen für Hersteller und Handel, unnötige Kosten abzuwerfen. Man sollte sich schon gut überlegen, ob man noch viele Millionen in Steine steckt oder lieber in bessere Prozesse, Services und kundenorientierte digitale Strukturen.
Auch insgesamt gab es damals rund um die Verhandlungen zu den aktuellen VW-Händlerverträgen viele Nebengeräusche. Unter anderem zeigten die deutschen Partner VW bei einer Händlerverbandstagung die „rote Karte“. Wie viel Kritik aus dem Handel ist damals bei Ihnen als Vertriebsvorstand angekommen?
Bei mir direkt kam schon viel Kritik an. Ich habe ja immer den direkten Austausch mit den Händlern auch über die Verbände gesucht. Mir war von vornherein klar, dass es keine leichten Verhandlungen werden würden. Wir haben über zwei Jahre mit den Händlerverbänden diskutiert und miteinander ein Zukunftsbild entwickelt, das die erkennbaren Trends E-Mobilität, Digitalisierung und stärkere direkte Kundenbeziehung zum Hersteller abbilden sollte. Diese Arbeit hat in Teilen die Fundamente von 60 bis 70 Jahren gelebter Partnerschaft erschüttert und verständlicherweise Ängste hervorgerufen. Die „rote Karte“ empfand ich deshalb als fair. Sie war eine Antwort auf das Unbekannte, was auf die Händler zukommt. Ich konnte mit der Reaktion leben und habe eigentlich sogar damit gerechnet.
Wie fällt im Rückblick Ihr Fazit zu den aktuellen VW-Verträgen aus?
Wir haben das – glaube ich – gut hinbekommen. Sicher ist nicht alles perfekt – kann es auch nicht sein, da wir über echtes Neuland in unserer Partnerschaft sprechen. Vieles muss sich in den nächsten Jahren auch erst noch beweisen. Volkswagen ist in meinen Augen aber definitiv weiter als viele andere Organisationen, diese Transformation aktiv zu gestalten. Die Verträge sind so strukturiert, dass es in absehbarer Zeit keine neuen mehr brauchen wird.
Ein zentraler Aspekt in den Verträgen ist das Agentursystem, in dem VW nun seine ID-Modelle auch im Geschäft mit Privatkunden vermarktet. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Wir hatten den großen Vorteil, dass das Agenturmodell bei VW im Flottenbereich in vielen Märkten wie Deutschland schon sehr gut funktioniert hat und vom Handel unterstützt wurde. Im Prinzip war es nur folgerichtig, die Agentur auch ins Privatkundengeschäft zu überführen und mit der ID-Familie quasi einen Neustart zu wagen. Im Privatkundengeschäft verdienen Händler in vielen Märkten wegen überzogener Rabatte mit dem Verkauf von Neuwagen kein Geld mehr. Das „alte“ System war kaputt. Noch dazu wird es durch unabhängige digitale Vertriebsplattformen weiter untergraben, die sich vor allem auf den niedrigsten Preis fokussieren.
Was kann das Agenturmodell daran ändern?
Mit dem Agenturmodell haben wir den Volumendruck wieder zum Hersteller verschoben. Da gehört er aus meiner Sicht auch hin. Das sorgt für Preisstabilität, Transparenz und ermöglicht national einheitliche Angebotspreise. Die Vermarktung wird dadurch deutlich effektiver und kommt den Kunden entgegen, die Transparenz über alles schätzen. Zudem ermöglicht die Systematik den Omni-Channel-Vertrieb eigentlich erst so wirklich, da Online- und Offlineangebote überall gleich gestaltet sind. Der Kunde will einen fairen Deal, und den bekommt er so auch – ohne unangenehme eigene Verhandlung. Der gewählte „Preferred Partner“ erhält wiederum online und offline in etwa die gleiche Marge. Wer stationär investiert hat, muss auch online beteiligt sein und ausreichend verdienen können. Das Agentursystem macht das für Händler wesentlich leichter.
Wie viel Marge braucht ein Händler im Agentursystem und wie viel Umsatzrendite sollte letztlich insgesamt übrig bleiben?
VW hat sich mit dem Handel auf ein Margensystem geeinigt, das für beide Seiten einen stabilen Ertrag sicherstellt. Beide Seiten müssen das über die Zeit sicherlich immer wieder überprüfen. Was die Umsatzrendite betrifft: Zwei Prozent sind im Volumenmarkt eine vernünftige Richtschnur. Natürlich muss man dabei die virtuellen Umsätze aus der Agentur hinzurechnen.
Was glauben Sie: Wird das Agenturmodell die bestimmende Vertriebsform in Zukunft sein?
Das Agenturmodell wird seine Kreise ziehen. Mercedes setzt es jetzt auch in Deutschland um, weitere Märkte werden wohl folgen, genau wie bei Volkswagen. BMW hat sein Agenturmodell vor Jahren interessanterweise zurückgezogen. Das halte ich für einen Fehler. Das Modell ist für alle Seiten Erfolg versprechend, braucht aber definitiv Zeit, bis es perfekt ist. Newcomer im Markt, etwa aus China und den USA, werden allerdings fast ausschließlich im Direktvertrieb agieren müssen. Denn die haben keine skalierbaren Netze. Vielleicht arbeiten sie auch in der Startphase mit unabhängigen Handels- und Serviceketten zusammen.