Die additive Fertigung – auch 3D-Druck genannt – hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Es gibt bereits Serienteile „aus dem Drucker“, und bei der Oldtimerrestaurierung ist diese Technik oft der letzte Ausweg. Kommt nun der 3D-Drucker für die Werkstatt?
Diese Bedienhebel für die Lüftungsanlage eines Mercedes-Oldtimers sind bei Edag durch additive Fertigung entstanden.
(Bild: Edag)
Im Internetvideos sieht es wie immer sehr einfach aus: Dort finden sich jede Menge Clips, in denen gezeigt wird, wie einfach sich Auto-Ersatzteile in einem so genannten 3D-Drucker nachfertigen lassen. Das Altteil abscannen, Daten in den Drucker übertragen, und dieser baut das Replikat Schicht für Schicht auf – fertig. Und da sich 3D-Drucker schon für wenige 100 Euro kaufen lassen, stellt sich die Frage: Sollte sich nicht jede Werkstatt einfach ein solches Gerät anschaffen, um zumindest einfache Kunststoffteile selbst zu drucken, anstatt sie zu bestellen?
Die Antwort in Kurzform: So fern ist diese Vision nicht mehr. Doch so einfach, wie es in den Internetfilmchen aussieht, ist es in der Praxis leider nicht.
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Die additive Fertigung – auch 3D-Druck genannt – hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Es gibt bereits Serienteile „aus dem Drucker“, und bei der Oldtimerrestaurierung ist diese Technik oft der letzte Ausweg. Kommt nun der 3D-Drucker für die Werkstatt?
Diese Bedienhebel für die Lüftungsanlage eines Mercedes-Oldtimers sind bei Edag durch additive Fertigung entstanden.
(Bild: Edag)
Im Internetvideos sieht es wie immer sehr einfach aus: Dort finden sich jede Menge Clips, in denen gezeigt wird, wie einfach sich Auto-Ersatzteile in einem so genannten 3D-Drucker nachfertigen lassen. Das Altteil abscannen, Daten in den Drucker übertragen, und dieser baut das Replikat Schicht für Schicht auf – fertig. Und da sich 3D-Drucker schon für wenige 100 Euro kaufen lassen, stellt sich die Frage: Sollte sich nicht jede Werkstatt einfach ein solches Gerät anschaffen, um zumindest einfache Kunststoffteile selbst zu drucken, anstatt sie zu bestellen?
Die Antwort in Kurzform: So fern ist diese Vision nicht mehr. Doch so einfach, wie es in den Internetfilmchen aussieht, ist es in der Praxis leider nicht.
Und nun die Langversion: In diesem Beitrag wollen wir erklären,
wie der 3D-Druck funktioniert,
was seine Stärken und Schwächen sind
und wie er künftig die Ersatzteilversorgung in den Werkstätten beeinflussen kann.
Mit der additiven Fertigung, wie der 3D-Druck korrekt bezeichnet wird, kommt zu den etablierten abtragenden, drückenden oder gießenden Fertigungsverfahren eine Methode hinzu, die enorm flexibel ist. Mit ihr lassen sich Formen erzeugen, die mit keinem anderen maschinellen Verfahren darstellbar sind.
Schichtweises Hinzufügen
Additiv gefertigte Werkstücke entstehen durch schichtweises Hinzufügen von Material oder durch den Phasenübergang eines Werkstoffs vom flüssigen oder pulverförmigen in den festen Zustand. Es braucht also immer ein Material und ein darauf abgestimmtes Fügeverfahren. Kunststoffe lassen sich ebenso verarbeiten wie Metalle, Keramik oder sogar Beton. Die Bindung zwischen den Partikeln des Ausgangsmaterials und damit die Formgebung wird durch Verschmelzen, Verkleben oder durch eine chemische Reaktion (z. B. Polymerisation) erreicht.
Anders als bei den herkömmlichen Fertigungsverfahren braucht man für die additive Herstellung also weder eine Form noch ein Werkzeug. Je nach Verfahren wird das Ausgangsmaterial beispielsweise
als Pulver in vielen dünnen Schichten aufgebracht und verschmolzen,
in einem Behälter mit einem Laser entlang der gewünschten Form erhitzt und damit verschmolzen,
oder durch Belichtung schichtweise zum Aushärten gebracht (Photopolymerisation).
Viele Vor-, aber auch manche Nachteile
Mit dem 3D-Druck lassen sich in einem Arbeitsgang spektakuläre Formen erzeugen. Sogar Komponenten aus mehreren Bauteilen, die gegeneinander beweglich sind, lassen sich herstellen. Jeder hat bestimmt schon einmal das Kinderspielzeug mit einer Kugel in einem Käfig gesehen, die in einem Arbeitsgang aus Kunststoffpulver per Laser abgeformt werden.
Die Flexibilität der Formgebung bezieht auch die innere Struktur der Bauteile mit ein. Wo beim Gießen im Wesentlichen die Wahl zwischen „massiv“ und „hohl“ besteht, lassen sich durch additive Fertigung komplexe Strukturen erzeugen, die an Vorbilder aus der Natur erinnern und echte bionische Konstruktionen zulassen. Das macht große Fortschritte im Leichtbau möglich.
Ein weiterer großer Vorteil: Teure Formen und Werkzeuge sind obsolet. Eine neue Gussform oder ein Tiefziehwerkzeug kosten Tausende oder Zehntausende Euro, die sich bei geringen Teilestückzahlen nicht refinanzieren lassen. Bei additiv gefertigten Teilen entfallen diese Investitionen.
Schichtweiser Aufbau braucht Zeit
Trotz all dieser Vorteile ist nicht zu erwarten, dass das Zerspanen, Gießen oder Tiefziehen in Gänze vom 3D-Druck abgelöst wird. Denn der schichtweise Aufbau eines Werkstücks braucht Zeit. Einfache Formen lassen sich viel schneller im Druckguss oder durch Blechumformen herstellen. Auch die Montage mehrerer Teile zu Komponenten mittels automatisierter Fügeverfahren geht oft schneller als der 3D-Druck.
Allerdings muss man dabei bedenken: Die Konstruktionsweise in der Industrie orientiert sich an den zur Verfügung stehenden Fertigungsverfahren. Eine an die Vorteile der additiven Fertigung perfekt angepasste Konstruktion könnte künftig die Vorzeichen umkehren.
Ein Beispiel: Statt aus vielen aus Blech geformten und miteinander verschweißten Einzelteilen ließen sich Teilumfänge der Karosserie – etwa die Federbeinaufnahme oder ein Fahrschemel – auch in einem „Rutsch“ im 3D-Drucker fertigen. Der Entwicklungsdienstleister Edag hat dies am Beispiel eines komplexen Bauteils im Bereich des Radkastens demonstriert.
Die typischen Internetvideos zeigen meist, wie sich vorhandene Altteile nachfertigen lassen. Das kann leicht davon ablenken, dass die additive Fertigung in erster Linie dazu gedacht ist, speziell dafür konstruierte Neuteile herzustellen. Mehrere Autohersteller verwenden bereits Teile aus additiver Fertigung.
Hochleistungskolben von Porsche
Anwendungsbeispiel 1
Porsche hat erstmals einen im 3D-Drucker gefertigten Kolben für den Hochleistungsmotor des 911-Topmodells GT2 RS eingesetzt. Er wurde mit einer der Belastung entsprechenden Struktur konstruiert und wiegt zehn Prozent weniger als die geschmiedeten Serienkolben. Zudem verfügt er über einen integrierten und geschlossenen Kühlkanal im Kolbenboden, der mit herkömmlichen Verfahren nicht herstellbar gewesen wäre. Dadurch lässt sich die Motordrehzahl steigern, die Temperaturbelastung der Kolben verringern und die Verbrennung verbessern. Bis zu 22 kW/30 PS mehr Leistung aus dem 700 PS starken Biturbo-Motor sind dadurch denkbar, heißt es bei Porsche.
Die Kolben des 911 GT2 RS entstanden im sogenannten Laser-Metall-Fusion-Verfahren (LMF) aus hochreinem Metallpulver. Das Gemeinschaftsprojekt hat Porsche mit den Kooperationspartnern Mahle und Trumpf ins Leben gerufen. Porsche Classic lässt außerdem Ersatzteile, die zuvor nicht mehr lieferbar waren, in Form von Kunststoff-, Stahl- und Leichtmetallteilen im additiven Verfahren nachfertigen. Derzeit gibt es rund 20 nachgefertigte Teile für Porsche-Klassiker aus additiver Fertigung.
Oldtimerteile von Mercedes-Benz
Anwendungsbeispiel 2
Mercedes-Benz Classic hat den Nutzen des 3D-Drucks für die Nachfertigung nicht mehr vorrätiger Ersatzteile längst erkannt. Mehrere Bauteile sind im regulären Ersatzteilprogramm erhältlich. Beispiele: Der Innenspiegelfuß für das Mercedes-Benz 300 SL Coupé (W 198), der Zündkerzenhalter aus dem Werkzeugsatz des SL sowie Schiebedach-Gleitbacken für die Baureihen W 110, W 111, W 112 und W 123.
Die in den Beispielen genannten Teile sind entweder direkt für die additive Fertigung geplant worden oder, wenn es sich um Nachfertigungen handelt, von Ingenieuren für diesen Zweck „re-engineered“ worden. Und das ist auch die wichtigste Botschaft für alle, die glauben, das einfache Abscannen der Außenkontur würde ausreichen: Das tut es nicht.
Denn weder kann ein verschlissenes oder defektes Altteil die korrekte Geometrie für ein Neuteil mit den ursprünglichen Eigenschaften liefern, noch lassen sich von außen alle Werkstoffeigenschaften und inneren Strukturen erkennen. Der Geometrieerfassung muss also die Erstellung eines virtuellen 3D-Modells folgen, bei dem sämtliche Konturen überarbeitet und angepasst werden.
Das ist vor allem für Teile wichtig, die montiert werden und dafür bestimmte Toleranzen, Passungen, eine Federwirkung und Ähnliches aufweisen müssen. Ohne nachträgliche Entwicklungsarbeit – das oben erwähnte Re-Engineerung – ist der 3D-Druck in der Praxis nutzlos. Jedenfalls, wenn die Ergebnisse die Anforderungen an ein Kfz-Teil erfüllen sollen.
Hier sehen Sie, welchen Aufwand die Firma Edag betreibt, um Oldtimer-Ersatzteile herzustellen: