Ferngutachten aus juristischem Blickwinkel Nicht auf dünnes Eis begeben
Remote-Gutachten, Telekalkulation, Livestream-Gutachten – solche oder ähnliche Begriffe bekommen Kfz-Betriebe immer häufiger zu hören, vor allem seitens der Versicherungen. Dr. Andreas Ottofülling, Leiter des Büros München der Wettbewerbszentrale, warnt vor den Folgen sogenannter Ferngutachten.

Wie bewerten Sie sogenannte Ferngutachten, wenn Sachverständige beschädigte Fahrzeuge nicht persönlich in Augenschein nehmen, aus juristischem Blickwinkel? Verstößt diese Vorgehensweise gegen geltendes Recht?
Dr. Andreas Ottofülling: Ob Ferngutachten gegen geltendes Recht verstoßen, hängt davon ab, welches Recht angewendet wird. Als Wettbewerbsrechtler kann ich nur für das Wettbewerbsrecht sprechen. Daneben existieren aber auch mögliche öffentlich-rechtliche oder gar strafrechtliche Aspekte. Beim Wettbewerbsrecht kommt es unter anderem darauf an, welche Gruppe von Sachverständigen oder Gutachtern betroffen ist, beispielsweise die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen. Diese unterliegen speziellen Regeln, insbesondere den Sachverständigenordnungen der Bestellungskörperschaften. Darin ist ausdrücklich geregelt, dass die Sachverständigenleistung höchstpersönlich zu erbringen ist. Dazu gehört unter anderem die Schadenaufnahme, also die persönliche Inaugenscheinnahme des beschädigten Fahrzeugs. Wenn ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger auf der Basis elektronisch zur Verfügung gestellten Datenmaterials – Fotos, Videos oder Ähnliches – ein Gutachten erstellt, verstößt er gegen eine in der Sachverständigenordnung geregelte Verpflichtung. Mit der Konsequenz, dass die Bestellungskörperschaft aufsichtsrechtliche Maßnahmen einleiten kann, was womöglich bis zum Entzug der öffentlichen Bestellung reicht. Daneben können gegen ihn auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden. Unabhängig davon, ob ein Sachverständiger öffentlich bestellt und vereidigt, zertifiziert, verbandsanerkannt oder geprüft ist, gilt stets der Grundsatz der höchstpersönlichen Leistungserbringung. Dabei ist die Schadenaufnahme essenzieller Bestandteil.
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