Porsche Legenden-Gelände

Von Wilfried Müller

Vor 60 Jahren erfolgte der Spatenstich zu Porsches populärer Teststrecke. Anfangs ging es oben auf der Heide zwischen Weissach und Flacht nur um eines: Testfahren, Autos extrem bewegen und weiterentwickeln. Für die Rennsportler ging es daneben selbstverständlich um Bestzeiten.

Ein 917/10 Spyder 1971 auf der Strecke, der Blick geht unverstellt nach Norden zum Entwicklungszentrum. Leitplanken sind noch eher die Ausnahme, als Streckenbegrenzung dienen örtliche Gewächse. So war das damals.
Ein 917/10 Spyder 1971 auf der Strecke, der Blick geht unverstellt nach Norden zum Entwicklungszentrum. Leitplanken sind noch eher die Ausnahme, als Streckenbegrenzung dienen örtliche Gewächse. So war das damals.
(Bild: Porsche AG, McKlein Photography)

Die Geschichte der Strecke beginnt 1959. Porsche sucht ein Prüffeld, denn auf der Autobahn wird es für Versuchsfahrten mit Sportwagen enger. Von solchen mit Rennwagen ganz zu schweigen. Der seit 1954 benutzte Malmsheimer Flugplatz ist ein Provisorium. Das Prüfgelände von Volkswagen in Wolfsburg ist weit weg. Herbert Linge, ein Porsche-Mann der ersten Stunde sowie geachteter Renn- und Rallyefahrer, schlägt ein Gelände bei seinem Heimatdorf Weissach und der Nachbarsiedlung Flacht vor, das eine Urkunde von 1910 so beschreibt: „...auffallend bergig und steinig, aber wenig ergiebig und sehr schwer zu bebauen.“ Ferry Porsche gefällt die Idee. Im November hat Porsche den größten Teil der knapp 38 Hektar gekauft. Am 16. Oktober 1961 rollt Ferry Porsche auf dem Bulldozer zum ersten „Spatenstich“ an.

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Als Urzelle des Entwicklungszentrums entsteht auf dem unbebauten Gelände eine kreisförmige Testbahn. Die Schleuderplatte, bald „Skidpad“ genannt, bietet drei Strecken mit 40, 60 und 190 Meter Innendurchmesser. Ab dem 15. Oktober 1962 treiben hier der Versuchsingenieur Peter Falk, Linge und Kollegen die frühen 901 bis zur Haftgrenze und darüber hinaus. Es geht um die Grundabstimmung des Fahrwerks, um Aerodynamik und Dauertests. Einer der ersten Rennwagen auf dem Rund, so berichtete Herbert Linge im November 2019, war der Porsche 804 Formel 1. Und der erste Mensch, der mehr oder weniger dauerhaft auf dem Weissacher Heckengäu für die Sportwagenbauer schaffte, war Robert Schüle. Allerdings als Teilzeit-Freelancer, denn Herr Schüle hütete hauptberuflich Schafe und betrieb die Gastwirtschaft „Zum Hirsch“. Schüle war zur Stelle, wenn es um den Auf- und Abbau von Tests ging, und er war mehr als der Hüter der Hütte.

Erste Testfahrten noch während des Baus

Helmuth Bott hatte schon im Januar 1960 das umfassende „Projekt Weissach“ formuliert und engagierte sich bis zur Pension 1988 leidenschaftlich für den Standort. 1966 beauftragte Bott den Ingenieur Jochen Freund, eine Prüfstrecke auf das Gelände zu legen. Bott sprach beim Layout heftig mit. So entstand der 2,88 Kilometer lange Bergkurs. Herbert Linge: „Die Baumaschinen waren noch unterwegs, da fuhren wir schon auf der neuen Strecke. Offroad würde man das heute nennen.“ Der Bergkurs wird im Uhrzeigersinn befahren. Eine Runde schildert Peter Falk: „Die Nordkurve ist eine schnelle Rechts. Bei entsprechend hoher Geschwindigkeit musste das Auto am Ausgang in einer Bergabpassage für die folgende Linkskurve sofort umgesetzt werden. Diese schnelle Linkskurve hieß bald die ‚Obermeister-Kurve‘. Sie führte in eine kurze Gerade, an die sich eine zum Ausgang aufgehende Rechtskurve anschloss, der ‚Alte Hof‘.

Nach einer rund 170 Meter kurzen Geraden folgte der ‚Z-Hang‘. An dieser steil bergauf führenden Rechts-links-Kombination kam man mit hohem Tempo an. Hier versagten frühe ABS-Anlagen gerne, der abrupte Richtungswechsel und das gleichzeitige Bremsen waren wohl zu viel für die simple Sensorik. Vom ‚Z-Hang‘ ging es über die schnellste Kurve, ‚Pfad‘, bergauf. Es folgte die ‚Bott- Schikane‘. Dieser sehr schnelle Rechtsknick führte blind und nach außen hängend über eine Kuppe. Dort verloren etliche Neulinge das Auto, und auch für Könner war die Stelle kritisch. Wir plädierten für die Entschärfung, aber Helmuth Bott blieb hart. Die ‚Bott-Schikane‘ gibt es bis heute.

Mit 850 PS um die Schafsweiden

1969 drehte der neue 917 auf dem Kreis 258 Runden, nur von einem Tankstopp unterbrochen. Dann wussten die Ingenieure: Die Radlager halten. Das Skidpad galt auch als letzte Instanz, wenn es um die erreichbare Querbeschleunigung geht. Helmuth Bott, der 1952 als Betriebsassistent bei Porsche anfing, dann zum Versuchs- und Entwicklungsleiter bis schließlich 1978 zum Entwicklungsvorstand aufstieg, schaute in seinem Büro auf eine Liste mit den Rekordrunden auf dem 190-Meter-Kreis. Darauf stand seit 1972 Willi Kauhsen mit dem 850 PS starken 917/10 als schnellster Fahrer.

Seit 1982 startete Porsche nun mit dem revolutionären 956 in der Weltmeisterschaft, und Bott wollte wissen: War der mit dem gleichen Gewicht, aber 200 PS weniger und schmaleren Reifen dank seiner Aerodynamik schneller als der gewaltige Siebzehner? Das hatte der Projektleiter Norbert Singer seinem Chef vorgerechnet. Stefan Bellof als Porsches schnellster Rennfahrer kam und war schneller. Allerdings nicht so schnell, wie Singer Bott versprochen hatte. Der wusste: Rennfahrer erledigen solche Versuche lustlos. Also rief er Peter Falk ins Cockpit.

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Querbeschleunigung von 1,858 g – einmaliger Rekord

Falk galt als der Meister des Skidpad, hielt die Rekorde mit dem 908 und dem 917. Er schnallte sich am 30. April 1984 in den 956, fuhr los ... und die Stoppuhren blieben bei der Rekordmarke von 14,4 Sekunden stehen. Das entspricht, so rechnete Falk 2019 vor, bei 192 Meter Kreisdurchmesser, auf dem sich der Schwerpunkt des 956 bewegte, einer mittleren Geschwindigkeit von 150,576 km/h und einer Querbeschleunigung von 1,858 g (solche Antworten geben nur Vollblutingenieure). Der Rekord steht bis heute, und er wird wohl für immer stehen. Norbert Singer erklärt: Moderne Rennreifen ermöglichen für wenige Sekunden höhere Querbeschleunigungen, überleben aber 14 Sekunden an einem solchen Limit wahrscheinlich nicht.

Tausend Kilometer und mehr mussten die Rennwagen unter Einschluss der „Schlechtwegstrecken“ (ohne Salzbad) vor dem ersten Einsatz überstehen. Eine Tortur für Fahrer und Auto, die sich als ausgesprochen notwendig entpuppte. Der mögliche Sieg beim 12-Stunden-Rennen in Sebring 1969 ging verloren, weil in Weissach zuerst Regen und dann Schnee fiel. Der neue 908/02 Spyder konnte nicht auf der Rüttelstrecke gefahren werden, und die leichten Rahmen brachen auf den Betonplatten der Rennstrecke in Florida. Auch der legendäre 917 blieb vor dem ersten Einsatz in Le Mans 1969 von dem Martertest nicht verschont.

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