Reparaturfreiheit für alle

Autor / Redakteur: Obermeister der Kfz-Innung Bodensee-Oberschwaben / Dipl. sc. Pol. Univ. Stephan Maderner

Das Recht auf Reparaturfreiheit wird immer mehr zur Überlebensfrage für die kleinen und mittelständischen Familienbetriebe.

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Das Recht auf Reparaturfreiheit wird immer mehr zur Überlebensfrage für die kleinen und mittelständischen Familienbetriebe.

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) haben sich im März 2000 in Lissabon ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Europa soll bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum der Welt werden. Die europäische Wettbewerbspolitik soll die Einheit des Binnenmarkts garantieren, die Monopolisierung bestimmter Märkte unterbinden sowie Unternehmen daran hindern, den Markt durch Absprachen unter sich aufzuteilen und ihre Wirtschaftsmacht gegenüber schwächeren Unternehmen zu missbrauchen.

Mit dieser Strategie will die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission die Rechte der Verbraucher stärken: „Die Autofahrer sollen ihre Werkstatt des Vertrauens frei wählen können.“ So beschäftigen sich seit 2000 viele sachverständige Verbände und Berater mit dem Zugang zu den Reparaturinformationen der Automobilhersteller und der Designschutz-Richtlinie für Kfz-Ersatzteile.

Das Recht auf Reparaturfreiheit wird immer mehr zur Überlebensfrage für die kleinen und mittelständischen Familienbetriebe. Betroffen sind vor allem die Freien Werkstätten, aber auch die markengebundenen Autohäuser. Denn auch die Fabrikatsbetriebe müssen Fahrzeuge einer anderen Marke reparieren können, wenn sie beispielsweise einen Gebrauchtwagen ankaufen oder ihnen im schlimmsten Fall der Automobilkonzern den Händlervertrag kündigt. Es handelt sich daher um ein grundsätzliches Branchenproblem.

Dies macht deutlich, dass auch nach dem Auslaufen der aktuellen Gruppenfreistellungs-Verordnung Nr. 1400/ 2002 (GVO) im Jahre 2010 der uneingeschränkte Zugang zu den technischen Daten in der Brüsseler Gesetzgebung verankert werden muss.

Derzeit steht die „Verordnung über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emission, über den Zugang zu Reparaturinformationen für Kraftfahrzeuge und zur Änderung der Richtlinien 72/306/EWG“ auf dem Prüfstand des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses.

Bereits am 12. Dezember 2006 hat sich das Europäische Parlament in der Plenardebatte zur 25. Typgenehmigung (Euro-5 und Euro-6) dafür ausgesprochen, in die neue Verordnung unter Kapitel III, Artikel 6 den „Zugang zu den Reparaturinformationen“ aufzunehmen. Diese neue Verordnung verpflichtet die Fahrzeughersteller, alle technischen Informationen offenzulegen. Andernfalls droht ihnen der Verlust der Typzulassung für die Baureihe. Somit müssen die Hersteller die Dauerhaltbarkeit emissionsmindernder Einrichtungen wie Abgasanlagen von 160 000 km anstatt 80 000 km nachweisen.

Immense Modellvielfalt

Daneben will die Kommission sicherstellen, dass die Reparaturinformationen nicht mehr nur dem Kreis der autorisierten Reparaturbetriebe zugänglich gemacht werden. Alle technischen Daten müssen im Internet nach dem „Organization for the Advancement of Structured Information Standards“ (Oasis) bereitgestellt werden. Das so genannte Oasis-Format haben 2003 verschiedene Industriezweige unter der Schirmherrschaft der EU-Kommission entwickelt.

Zudem entwickeln sich die Technischen Service-Informationen (TI) permanent weiter. Es reicht heute nicht mehr aus, nur über allgemeingültiges Schulwissen, Handbücher, Datenblätter und Schaltpläne zu verfügen. Heute gibt es eine immense Typen- und Modellvielfalt. Angesichts der Tendenz, dass fast jedes Automobil durch individuelle Konfiguration zum Unikat wird, steht die exakte Fahrzeugidentifizierung am Anfang der Diagnosekette. Eine eindeutige Zuordnung ist im Moment nur mit dem nicht allgemein zugänglichen VIN-Schlüssel (Vehicle Identification Number) der Automobilhersteller möglich.

Exklusive Daten

Die Fahrzeughersteller besitzen die exklusiven Serviceinformationen zu jeder Baureihe und kennen im Idealfall die individuelle Fahrzeughistorie. Diese Daten stehen in der Regel nur den autorisierten Werkstätten zur Verfügung. Sie erhalten somit alle servicerelevanten Informationen – die Solldaten zu dem in der Werkstatt vorliegenden Reparaturfall.

Dagegen verfügen die Freien Werkstätten vor allem über die technischen Informationen des jeweiligen Systemanbieters. Für einen Komplettservice nach Herstellervorgaben sind diese jedoch nicht ausreichend. Die Daten umfassen zwar Informationen wie Fehlerbeschreibungen oder Schaltpläne. Die Interpretation der Historie und die zu einer Baureihe gehörenden spezifischen Serviceinformationen fehlen jedoch oftmals – insbesondere, wenn es sich um komplizierte Reparaturfälle handelt. Bei der Datenrecherche geben viele Freie Werkstätten auf und sind dann auf den guten Willen ihres markengebundenen Kollegen angewiesen.

Aus diesem Grund hat die Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission gegen die Autokonzerne DaimlerChrysler, Fiat, Opel/General Motors und Toyota ein Verfahren wegen des Verdachts der Benachteiligung unabhängiger Reparaturbetriebe eingeleitet. Denn gemäß Artikel 4 Absatz 2 der GVO müssen sie „die technischen Informationen in einer Weise zur Verfügung stellen, die gemessen an den Bedürfnissen unabhängiger Werkstätten verhältnismäßig ist“.

Alle betroffenen Hersteller haben daraufhin zugesagt, die für die Instandhaltung und Wartung erforderlichen technischen Informationen, Werkzeuge, Geräte, Software und fachlichen Unterweisungen auch für vertragsfreie Betriebe via Internet bereitzustellen (siehe Tabelle). Diese Zusagen wurden am 22. März 2007 im Amtsblatt C 66 unter 3.2 der Europäischen Union veröffentlicht.

Zusagen der Hersteller

Der einführende Wortlaut der Zusagen ähnelt sich bei fast allen Automobilherstellern. Beispiel: „DaimlerChrysler (DC) www.service-and-parts.net/dcagportal/DCAGPortal wird auf der TI-Website alle technischen Informationen über die nach 1996 auf den Markt gebrachten Modelle einstellen und gewährleisten, dass alle aktualisierten technischen Informationen stets auf der TI-Website beziehungsweise etwaigen Nachfolger-Websites verfügbar sind....“

Die Europäische Kommission hat alle Betroffenen aufgefordert, bis zum 22. April 2007 den Umfang und die Qualität der technischen Informationen zu bewerten. Sind diese zufriedenstellend, wird eine so genannte Verpflichtungsentscheidung nach Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 von der EU-Kommission erlassen. Damit ist die Prozedur erledigt. Bricht allerdings ein Automobilhersteller seine Zusicherung, droht ihm ein Bußgeld von bis zu zehn Prozent seines weltweiten Jahresumsatzes.

Wer heute darauf hofft, dass sich in Zukunft der Trend hin zu mehr Elektronik sowie komplexeren und vernetzten Systemen umkehrt, der irrt gewaltig. Gerade die Brüsseler Abgasgesetzgebung zur Euro-5 und Euro-6 sowie die CO2-Reduzierung und viele anspruchsvolle Kundenforderungen nach Komfort (Hybridantrieb, Assistenzsysteme) bestimmen die Zukunft. Auch neue Sicherheitsfunktionen, beispielsweise die Elektrolenkung, der CDC-Dämpfer oder das Kurven- und Abbiegelicht, erhöhen die Komplexität des Automobils. In einem Beleuchtungssystem können heute bis zu acht Lampen enthalten sein.

Große Datenmengen

Somit kommt es zukünftig noch stärker darauf an, im Pannenfall zu wissen, über welche Ausstattung das Fahrzeug verfügt und was überhaupt repariert und wie das Teil ausgetauscht werden kann.

Nicht nur die Zahl der Funktionen im Auto und der Bedarf an Ersatzteilen wird steigen, auch die technischen Informationen nehmen an Komplexität zu. Diese Komplexität ergibt sich aus der Vielfalt der Datenmenge, ihrer gegenseitigen Abhängigkeit und aus dem Innovationsdruck im Elektronikbereich, der von „Moore’s law“ (schneller, kleiner, leichter) angetrieben wird.

Vor diesem Hintergrund ist der schnelle Zugriff auf die technischen Informationen ein erheblicher Wettbewerbsvorteil. Doch es reicht nicht, die technischen Daten zu haben. Die Werkstatt muss mit ihnen auch effizient umgehen können.

Um zukünftig im Kfz-Gewerbe erfolgreich zu bestehen, wird die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter noch an Bedeutung gewinnen. Darüber hinaus kommt es darauf an, neben dem Zugang zu Reparaturinformationen die Datenverfügbarkeit in der Werkstatt effizient zu organisieren. Dies ist aber nur zu schaffen, wenn die Fahrzeughersteller leistungsfähige, standardisierte Datenlinien aufbauen und sie den Inhabern von Kfz-Betrieben zu angemessenen Preisen herausgeben. In einem ersten Schritt kommt dabei das Oasis-Format zur Anwendung. Später will die EU-Kommission über ein mobiles Datennetzwerk entscheiden.

Ausblick

Daran arbeitet momentan das europäische Forschungsprojekt „Mobility and Collaborative Work in European Vehicle Emergency Networks“ (Mycarevent). Führende europäische Automobilhersteller, Pannendienste, Forschungsinstitute, E-Business- und Telekommunikationsunternehmen haben sich zu dem 21 Partner umfassenden Mycarevent-Konsortium zusammengeschlossen. Dieses erarbeitet in einer dreijährigen Laufzeit neue Systeme − mit zentralen Serviceportalen und mobilen Endgeräten. Die Forschungsarbeiten begannen am 1. Oktober 2004 und werden bis zum 30. September 2007 andauern.

Fazit: Fahrzeuge müssen nicht nur im Neuzustand den Umweltstandards entsprechen, sondern während ihrer gesamten Lebensdauer. Ohne den Zugang zu den Reparatur- und Wartungsinformationen für alle Marktakteure lässt sich dies jedoch nicht gewährleisten.

Die Automobilhersteller und Importeure sind dafür verantwortlich, dass die in den Verkehr gebrachten Fahrzeuge fachgerecht repariert und gewartet werden können. Dies ist besonders wichtig, um leistungsfähige kleine und mittlere Unternehmen vor einem schleichenden Tod zu bewahren.

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