GVO: Kündigungen sind unwirksam

Redakteur: Julia Mauritz

Prof. Jürgen Ensthaler: Eine Kündigung bei Bestehen eines Kontrahierungszwangs ist nur als außerordentliche Kündigung, aber nicht, wie geschehen, als ordentliche Kündigung möglich.

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Nach dem Evaluierungsbericht, den die Kommission am 28. Mai 2008 vorgelegt hatte, sollte es in Zukunft keine oder allenfalls eine im Umfang ganz erheblich reduzierte GVO geben. Die Stellungnahmen der Händlerverbände dazu waren ausschließlich negativ. Auch die Bundesregierung, vertreten durch das Wirtschaftsministerium, plädierte für eine Verlängerung der aktuellen Kfz-GVO für einen Zeitraum von einigen Jahren. Anscheinend will die Kommission diesem Vorschlag nun folgen und die gegenwärtige Kfz-GVO zunächst einmal um zwei Jahre verlängern.

Der Jurist Professor Dr. Dr. Jürgen Ensthaler von der TU Berlin bemängelt den Evaluierungsbericht, da die Kommission die Folgen einer Abschaffung der GVO im Hinblick auf die Machtverteilung zwischen den Händlern und den Herstellern nicht hinreichend bedacht habe. Denn eine Abschaffung der Gruppenfreistellungsverordnung hätte auch den Wegfall der so genannten Schwarzen Klauseln zur Folge.

Ungleiche Machtverteilung

Die Hersteller würden dann einen äußerst breiten Gestaltungsraum erhalten, um Vertriebssysteme aufzubauen, in denen sie die Interessen des Handels nur noch wenig berücksichtigen müssten. Auch die flächendeckende Kündigung von Serviceverträgen in Folge des Evaluierungsberichts der EU-Kommission, wie jüngst von einigen Herstellern in die Tat umgesetzt, hält Ensthaler für unwirksam. Diese Kündigungen wurden zum Ende der Laufzeit der gegenwärtigen GVO ausgesprochen und sind überwiegend mit Umstrukturierungserfordernissen bzw. neuen Standards begründet worden.

Noch sei die GVO in Kraft und auf deren Grundlage, aber auch aufgrund weiterer kartellrechtlicher Vorschriften, seien diese Kündigungen unwirksam. Die Unwirksamkeit folge schon daraus, dass für den Servicebereich regelmäßig nur die sogenannte qualitative Selektion möglich sei. Dies bedeute, jeder Betrieb, der die Standards erfülle, habe das Anrecht auf einen Servicevertrag. Es bestehe demnach ein Kontrahierungszwang.

Es entspreche der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, so Prof. Ensthaler, dass eine Kündigung bei Bestehen eines Kontrahierungszwangs regelmäßig nur als außerordentliche Kündigung, aber nicht, wie hier ausgesprochen, als ordentliche Kündigung möglich sei.

Hersteller müssen sich an GVO-Regeln halten

„Es wird immer wieder versucht, Argumente gegen diesen Kontrahierungszwang, d. h. die Verpflichtung zum Vertragsabschluss bei Erfüllung der Standards, zu finden“, betont Prof. Ensthaler. „An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass ein Kraftfahrzeughersteller, der ein Vertriebssystem nach der GVO unterhält, sich auch vollinhaltlich an die Regeln dieser GVO halten muss – letztlich auch wegen seines eigenen Vorteils, nämlich um eine Einzelfallprüfung nach Art. 81 Abs. 3 EG i.V.m. der Verfahrensordnung 1/2003 zu vermeiden und das Risiko eines kartellrechtlichen Verbots einer selbst freigestellten Vertriebsform auszuschließen; alles andere wäre ein widersprüchliches Verhalten.“ Mit anderen Worten: Ein Hersteller könne sein Vertriebssystem nicht einerseits an der GVO ausrichten und andererseits seinen Partnern mitteilen, dass er sich hinsichtlich ihm nicht vorteilhaft erscheinender Regeln nicht an diese Ordnung halten wolle.

Das Auslaufen der gegenwärtigen GVO könnte nach Ansicht von Prof. Ensthaler auch wieder zu Strukturkündigungen führen, wie das auch beim Auslaufen der letzten GVO der Fall gewesen sei. Auch insofern habe es zwischen Handel und Hersteller Streit gegeben, der 2007 durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt worden sei – zum Nachteil des Handels.

Damals sei es darum gegangen, unter welchen Voraussetzungen eine Strukturkündigung, also eine Kündigung mit einjähriger Kündigungsfrist, wirksam ausgesprochen werden könne. „Der BGH hatte die Sache zur Klärung dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt“, berichtet Prof. Ensthaler, „dieser hatte recht strenge Maßstäbe an die Zulässigkeit einer Strukturkündigung geknüpft. Allein wegen umfangreicher Rechtsänderungen, die häufig mit einer neuen GVO verbunden sind, sollte eine Strukturkündigung mit kurzer Kündigungsfrist nicht möglich sein. Eine Strukturkündigung darf nur mit besonderen Umstellungsschwierigkeiten bei einzelnen Vertriebssystemen begründet werden.“

Sprich: Nur erhebliche wirtschaftliche bzw. organisatorische Besonderheiten rechtfertigten nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs ausnahmsweise eine auf ein Jahr reduzierte Kündigungsfrist.

Falsche Argumentation des BGH

„Mit der Entscheidung konnte der Handel zufrieden sein“, so Prof. Ensthaler, „doch der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung aus 2007 die Sache anders zu Ende gebracht.“ Plötzlich habe der BGH argumentiert, auf die Frage nach einjähriger (Strukturkündigung) oder zweijähriger Kündigungsfrist (übliche Kündigungsfrist) komme es nicht mehr an, weil in den Gruppenfreistellungsverordnungen ohnehin geregelt sei, dass den Herstellern nur ein Jahr für die Umstellung auf eine neue GVO bliebe. Insofern wären ohnehin alle Altverträge nach diesem einen Jahr unwirksam geworden.

„Die Argumentation des BGH ist falsch, sie wird keinen Bestand haben“, meint Prof. Ensthaler. Soweit die zweijährige Kündigungsfrist, wie vom EuGH festgestellt, maßgeblich sei, müsse den gekündigten Händlern für die Zeit nach der Umstellung, also noch für ein Jahr, ein Folgevertrag angeboten werden. Andernfalls wäre die in der Verordnung festgeschriebene zweijährige Kündigungsfrist unterlaufen. Es sei dann Sache des Händlers, ob er diesen Folgevertrag will oder nicht.

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