VW-Historie Wer erfand den VW Käfer? – der vergessene Josef Ganz
Der Ingenieur, der in Zürich den „Schweizer Volkswagen“ entwarf, gilt manchen Autohistorikern auch als der wahre Vater des VW Käfers. Zwar bleibt Josef Ganz’ Käfer-Anteil umstritten, aber unumstritten sind sein Erfindungsgeist und die Tragik seiner späteren Jahre.

Eine Mietwohnung in Melbourne, Australien, 1967. Vielleicht denkt der ältere Herr gerade an Zürich und seinen kleinen „Schweizer Volkwagen“ zurück, als im Fernsehen plötzlich der große Volkswagen läuft und läuft. Zehn Millionen VW Käfer! Erwähnt wird dessen „Vater“ Ferdinand Porsche. Erwähnt werden auch als Mitväter Béla Barényi (Mercedes) und Hans Ledwinka (Skoda), die sich ihren Rang als Käfer-Beteiligte gerichtlich hatten erstreiten müssen. Nur der Name Josef Ganz fällt nie. Sein Name. Mit 69 Jahren rebelliert Ganz ein letztes Mal. „Ich habe den Käfer erfunden!“, sagt er einer Lokalzeitung. Doch die Autowelt, die hört ihn nicht mehr.
Das war mal ganz anders. In die Zeitung kommt Ganz erstmals bereits als Bub. Im heimischen Wien hat er eine Schutzvorrichtung für die Straßenbahn entwickelt. Patent erteilt – mit zwölf Jahren! Der Bub wird zum Maschinenbauingenieur Josef Ganz und Chefredakteur der Frankfurter „Motor-Kritik“. Deutschland fehle ein Massenauto à la Ford Model T, sagt Ganz. Und entwirft 1923 eins. Mit Zutaten wie am späteren Käfer – Zentralrohrrahmen, Pendelachse, Heckmotor – werden daraus 1930 und 1931 zwei Prototypen. Den zweiten tauft Ganz der Form wegen „Maikäfer“. Ganz ist ein Autojemand, arbeitet für Adler, Ardie, BMW, Mercedes. Standard aus Ludwigsburg lanciert 1933 Ganz’ Ideen im Superior in Serie. Werbeslogan: „deutscher Volkswagen“.
Flucht vor den Nazis
An der Automesse 1933 in Berlin verweilt ein Besucher auffällig lange am Superior: Reichskanzler Adolf Hitler. Ganz ist Jude – aber ihm selbst ist das völlig egal. Und als eine Nazi-Postille ihn „jüdischen Schädling“ nennt, zieht er vor Gericht. Und gewinnt. Noch. Dann brennt der Reichstag, die Diktatur beginnt. Die Gestapo holt Ganz, ein Monat Haft, Autofirmen müssen ihm kündigen. Aber die Gefahr begreift Ganz wohl erst, als ihn ein früherer Kunde warnt, Hitler werde sich den Volkswagen kaum von den Patenten eines Juden verderben lassen. Ganz flüchtet 1934 in die Schweiz: Sein Vater war Autor der „Neuen Züricher Zeitung“ (NZZ), Ganz hat hier Verwandte. Deutschland entzieht ihm 1938 Pass und Patente. Im selben Jahr krabbelt ganz ohne Ganz der spätere VW Käfer als KdF-Wagen los.
In Zürich blickt Ganz unverdrossen nach vorne. Gefördert vom Bund, entwirft er bei Rapid in Dietikon ZH den „Schweizer Volkswagen“. Doch wieder kommen ihm die Nazis in die Quere: Der Zweite Weltkrieg stoppt das Projekt. Und die Schweiz ist nicht frei von Antisemitismus: Ganz wird denunziert, im Zürcher Polizeirapport steht was von Parasit. Ganz informiert die Presse. Ein Skandal! Der „Tages-Anzeiger“ ist auf Ganz’ Seite, nicht mehr aber die Schweizer Obrigkeit. Nach dem Krieg scheitert der jetzt veraltete „Schweizer Volkswagen“ nach 36 Stück. Ganz steht vor dem Nichts und verklagt Volkswagen. Er will doch nur sein Recht, aber gilt als schwierig.
Neue Heimat Australien
Behörden empfinden Ganz nun als Querulanten. Dass seine Kufenfederung den Schweizer Bob an den Olympischen Winterspielen 1948 in St. Moritz zu Gold gleiten lässt, hilft nichts mehr: 1950 wird seine Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert. Der 52-Jährige ist nun ein staatenloser Niemand. Der erste Herzinfarkt. Ganz will nur noch weg, möglichst weit weg: In Melbourne arbeitet er als Ingenieur der General-Motors-Tochter Holden. Unumstritten bleibt: Ganz war ein exzellenter Ingenieur. Umstritten bleibt bis heute, wie groß sein Käfer-Anteil war: War er Vater, Miterfinder, Inspirator oder „nur“ zufällig Parallelvisionär? War sein Superior die Käfer-Blaupause? Darüber streiten Autohistoriker. Fakt ist: Das technische Konzept war seinerzeit nicht nur bei Ganz en vogue, der Begriff Volkswagen nicht neu. Doch wahr ist auch: Die Parallelen sind verblüffend.
Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Zumal 1961 plötzlich alles nach Happy End aussieht: Jetzt will die Bundesrepublik Deutschland Ganz das Bundesverdienstkreuz verleihen und VW-Boss Heinrich Nordhoff ihn als Ingenieur nach Wolfsburg holen. Ganz strahlt. Doch er muss ablehnen – ein australisches Gesetz. Und schafft es nicht mehr nach Wolfsburg – ein erneuter Herzinfarkt. Es ist vorbei, Ganz kann nicht mehr, ist krank und gebrochen. Er gibt auf. Seine Suche nach Anerkennung und sich selbst: 1967, im Jahr des zehnmillionsten Käfers, stirbt Josef Ganz. Ganz allein. Der Käfer krabbelt bis 2003 weiter und findet 21,5 Millionen Freunde.
Aus dem Autogewerbe-Fachmagazin AUTOINSIDE des AGVS, März 2023, agvs-upsa.ch
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