Škoda Gruppe-B-Schreck?
Underdogs heißen nicht umsonst so. Beispiel Škoda 130 LR: Der versuchte Anfang der Achtzigerjahre mit gerade mal 130 PS, sich seinen Platz zwischen all den westlichen Rallye-Monstern zu suchen.

Knapp zehn Jahre nach der Premiere des Coupés 130 RS schickte Škoda mit dem 130 LR die nächste Generation seiner Renn- und Rallye-Heckschleudern an den Start. Es war die Zeit, in der sich im Rallyesport die Fahrzeuge in Breite und Leistung aufblähten wie Hefeknödel. Bei dem selbstredend von westlichen Herstellern dominierten Sport wollte jedoch ein Automobilhersteller aus dem tschechischen Mladá Boleslav ein Wörtchen mitreden: Er präparierte dafür sein heißestes Eisen, das er mit talentierten Fahrern ausstattete, die sich selbst gegen die prominentesten Namen der Szene immer wieder durchsetzten.
Die meisten Rallye-Fans dürften sich noch gut erinnern, an die später als Monster verschrienen Gruppe-B-Boliden vom Schlage eines Audi Sport Quattro, eines Lancia Delta Intgrale oder eines MG Metro. Sie alle erreichten zur damaligen Zeit geradezu unvorstellbare Geschwindigkeiten. Doch gerade aufgrund dieser enormen Leistungen kam es zu einer Serie von Zwischenfällen, die schließlich zur vollständigen Abschaffung der Kategorie führten. Im Schatten der geradezu furchteinflößenden, aufgeladenen (Allrad-) Modelle diverser Hersteller startete in der Gruppe B auch besagter 130 LR. Doch trotz der im Vergleich deutlich geringeren Leistung und seinem Zweiradantrieb fuhr er gegen die Konkurrenz zahlreiche Achtungserfolge ein.
Einzig Porsche mit analogem Antriebs-Layout
Mit seinem Heckmotor und -antrieb war Škodas „Wunderwaffe“ vergleichsweise unkonventionell konzipiert. Das einzige Fahrzeug auf der Strecke mit einem ähnlichen technischen Konzept war der Porsche 911. Die Entwicklung des 130 LR begann, nachdem die Abschaffung der Gruppe 2 der langen, erfolgreichen Karriere des Typ 130 RS ein Ende gesetzt hatte. Für den galt es einen Ersatz zu konstruieren, da seine Homologation bereits fast abgelaufen war. Gleichzeitig sollte der Neue ein Fahrzeug sein, das auf dem Großserienmodell 105/120 basierte. Noch leichter, schneller und besser beherrschbar als das Vorgängermodell. Zu diesem Zweck entwickelten die Konstrukteure in der Motorsportabteilung unkonventionelle Lösungen.
So erhielt der Motor mit 1,3 Liter Hubraum einen neuen Achtkanal-Zylinderkopf aus Aluminium. Dieser stammte aus der Aggregateentwicklung für den Favorit – das künftige Erfolgsmodell befand sich damals in Vorbereitung. Mit zwei Weber-Doppelvergasern DCOE leistete das Aggregat 130 PS, die über ein Fünfganggetriebe und ein selbsthemmendes Differenzial auf die Hinterräder übertragen wurden. Die 130 PS trafen dabei auf ein sehr geringes Leergewicht von nur 730 Kilogramm. Hauben und Türen waren aus Aluminium gefertigt, die Seitenscheiben und später auch die Heckscheibe bestanden aus Macrolon-Plexiglas. Alles, was nicht unbedingt notwendig war, wurde aus dem Fahrzeug entfernt. Für den Schutz der Insassen sorgte ein damals gerne aus Alu gefertigter Überrollkäfig von Heigo.
Gut 200 Exemplare entstanden
Für eine bessere Beherrschbarkeit sorgte im 130 LR eine neue Hinterachse mit modifizierter Kinematik. Sie ermöglichte es, die Bodenfreiheit zu verändern und einen Stabilisator zu installieren. Weiterhin modifizierten die Konstrukteure die Vorderradaufhängung und passten das Bremssystem an. Die vorderen Bremsscheiben waren gekühlt und an der Hinterachse kamen als weitere technische Neuerung Scheibenbremsen zum Einsatz. Zudem konnte der Fahrer wie üblich die Bremsverteilung vorne/hinten stufenlos einstellen, und die Handbremse arbeitete ebenso hydraulisch.
Die Homologation des Škoda 130 LR mit der Prüfung einer Serie von 200 Exemplaren durch den Automobil-Weltverband FIA fand am 19. Dezember 1984 im Werk Vrchlabí statt. Zum Debüt des LR auf der Rallye-Piste kam es bereits im Februar des darauffolgenden Jahres. Bei seiner Premiere, der Rallye Valašská zima, belegte der der tschechische Flitzer mit den Fahrerteams Křeček/Motl, Haugland/Bohlin und Kvaizar/Janeček auf Anhieb die drei vordersten Plätze. Seinen ersten großen internationalen Erfolg fuhr 130 LR bei der berühmten britischen RAC-Rallye Ende 1985 ein. Hier eroberte der norwegische Pilot John Haugland den 15. Platz der Gesamtwertung.
Größter Triumph bei einem EM-Lauf
Den nächsten großen Triumph konnten die Tschechen im darauffolgenden Jahr bei der Rallye Akropolis feiern, einer der härtesten Rallyes der Welt. Das Duo Ladislav Křeček/Bořivoj Motl siegte in seiner Klasse und belegte den 13. Platz der Gesamtwertung. Dieses Ergebnis konnte es bei der Rallye San Remo 1986 mit Gesamtrang sechs sogar noch übertreffen. Der größte Erfolg war der Sieg des österreichischen Fahrerteams Gerhard Kalnay/Günter Tazreiter in der Gesamtwertung der Marlboro Günaydin Turkish Rally. In diesem EM-Lauf ließ der Skoda 130 LR den Peugeot 205 Turbo 16, den Audi Quattro, den MG Metro 6R4, den Renault 5 Turbo und weitere starke Fahrzeuge im Feld weit hinter sich.
Doch infolge fataler Unfälle in der Saison 1986 hatte die FIA bereits gegen Saisonende die Entscheidung getroffen, die Gruppe B einzustellen, was praktisch gleichbedeutend war mit dem Ende der internationalen Karriere des 130 LR. Er fuhr in der Folge noch zwei Jahre in der tschechoslowakischen Meisterschaft und bei Rennen des damaligen Friedens- und Freundschaftspokals, bei dem das Duo Pavel Sibera/Petr Gross in der Saison 1988 den letzten Meistertitel in einem Fahrzeug mit Heckmotor einfuhr. In dieser Zeit nahm das Werksteam bereits mit den für die Gruppe A modifizierten Fahrzeugen vom Typ Š 130 L mit geringeren Anpassungen an internationalen Rennen teil.
Gleichzeitig lief die Produktion des neuen Kurzheckmodells Favorit mit Frontmotor an und die Konstrukteure legten den Fokus auf die Entwicklung eines neuen Rallye-Fahrzeugs mit Frontantrieb. Da die Fahrzeuge bei Amateur-Rallyes und anderen Rennen nicht geschont wurden, sind nur sehr wenige von mehreren Hundert gebauten 130 LR (200 Homologationsfahrzeuge, 20 Rennwagen und eine unbekannte Zahl an Fahrzeugen, die für die Spezifikation 130 LR modifiziert wurden) bis heute erhalten geblieben.
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